5 Fragen an Sebastian Purps-Pardigol

1. Potenzialentfaltung hört sich für viele Führungskräfte sehr theoretisch und schon fast schwer erreichbar an. Wie kann es doch gelingen, im stressigen Führungsalltag die Potenziale der Mitarbeitenden zu heben und zur Entfaltung zu bringen?

Greifen wir mal das Wort „stressig“ aus Ihrer Frage auf. Damit fängt es für viele Führungskräfte und Mitarbeitende bereits an. Was ich in den letzten Jahren, in denen ich Dutzende von Unternehmen mit gelungenen Unternehmenskulturen analysiert habe, immer wieder erkenne, ist, dass das „always on“ vielen Menschen nicht gut tut. Ein oft verwendeter und von manchen Unternehmen mit Inhalt gefüllter Begriff ist die „Achtsamkeit“. SAP hat dafür sogar einen „Global Chief Mindfulness Officer“, mit dem ich ein langes Interview veröffentlicht habe. Nachdem Tausende von Mitarbeitenden Achtsamkeit lernten, kann das Unternehmen feststellen, dass sich diese Menschen nicht nur besser fühlen, sondern sich ganz nebenbei auch die Produktivität erhöht.

 

2. Was können Führungskräfte von der aktuellen Hirnforschung lernen? Was sind die wichtigsten Aussagen hierzu?

Mitarbeitende brauchen ein Gefühl von Verbundenheit. Sie müssen den Eindruck haben, sinnvoll mitgestalten zu können und es wäre günstig, wenn es einen Chef gibt, der an sie glaubt. Das können Sie übrigens 1:1 in die Kindererziehung übertragen. Das sind ja auch Menschen, nur Kleinere. Die neurobiologischen Grundbedürfnisse bleiben jedoch zeitlebens die gleichen.

 

3. Lässt sich in drei Kernaussagen zusammenfassen, was wir von den Unternehmen lernen können, die Sie in Ihrem letzten Buch „Digitalisieren mit Hirn“ vorgestellt haben?

Ich finde den Aspekt der „Menschen-Zugewandtheit“ besonders wichtig. Es zeigt sich immer mehr, dass reine „Führungstools“ an ihre Grenzen stoßen. Was es braucht, sind Führungskräfte, die ihr eigenes Rollenbild hinterfragen. Ich rede dann gerne von „wenn es eine Metapher gäbe, die Ihr Führungsverständnis beschreibt – wer sind Sie dann?“. Manche Chefs laufen noch mit der Idee durch die Welt, dass sie nur die „richtigen Knöpfe drücken“, „die richtigen Fäden ziehen“ und „etwas Öl ins Getriebe geben“ müssen, damit es gut läuft. Die Biologie ist jedoch keine zweite Physik: In einem physikalischem System wie einer Dampfmaschine mag das alles klappen. Und man kann auch mehr Druck reingeben und es kommt mehr Leistung raus. Ein Mensch ist jedoch ein biologisches System. Es müsste Chefs daher gelingen, innerlich eine andere Metapher zu entwickeln, die ihr Rollen- und Fühungsverständnis zum Ausdruck bringt. Eine Metapher, die menschenzugewandt ist, wäre da sehr hilfreich.

 

4. Und welche Bedeutung haben diese Kernaussagen für die aktuelle herausfordernde Zeit?

Sie sagen es ja: herausfordernde Zeit. Das bedeutet, mehr Druck von der Außenwelt. Chefs müssen daher noch mehr darauf achten, dass die Mitarbeitenden gesund bleiben. Als kürzlich ein Gewitter aufzog, hat mein Nachbar eine Schutzfolie über seine Rosen gelegt, damit die von dem Sturm nicht zerlegt werden. Ein Chef sollte sich fragen: Was zieht und zerrt an meinen Mitarbeitenden? Und was kann ich dazu beitragen, dass diese Menschen auch in schwierigen Zeiten Zugriff auf das behalten, was in ihnen steckt. Die Antworten habe ich teils genannt: Sorgen Sie für ein Gefühl von Verbundenheit, lassen Sie diese Menschen mitgestalten und geben Sie ihnen das Gefühl, dass Sie an sie glauben. Und: Fragen Sie diese Menschen, was sie brauchen. Die meisten Menschen sagen einem das durchaus.

 

5. Vor der Corona-Krise hätte ich Sie gefragt „wie können Führungskräfte Mitarbeitende auf den digitalen Wandel vorbereiten und sie für das Thema gewinnen?“ Heute stellt sich mir die Fragen wie Führungskräfte und Mitarbeitende Schritt halten können mit der hohen Geschwindigkeit des Wandels, die die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie ausgelöst haben.

Ich habe mich seit April mit vielen Unternehmen unterhalten und nachgefragt, wie sie diese Phase meistern (https://kulturwandel.org/kulturwandel-in-krisen/). Die Essenz ist recht einfach: Wer sich mit der eigenen Unternehmenskultur auseinandergesetzt hatte, dem gelang es leichter. Die Schlagworte sind auch hier: Führung auf Augenhöhe. Mitarbeitende mitgestalten lassen. Verbundenheit herstellen und teils klassische Entscheidungsstrukturen verändern.

 

Über meinen Gesprächspartner
Sebastian Purps-Pardigol ist Organisationsberater, Vortragsredner und Autor. Gemeinsam mit dem Neurobiologen Prof. Dr. Gerald Hüther leitet er die Initiative Kulturwandel. Sie bietet Unternehmern, Führungskräften und Mitarbeitenden anhand von Beispielen aus der Praxis Impulse, einen Kulturwandel zu beginnen und zu gestalten.