5 Fragen an Prof. Dr. Michaela Merk

1. Was verstehen man unter Beziehungsintelligenz und woher kommt der Begriff?
Der Begriff Beziehungsintelligenz sagt, dass ich mich so gut wie möglich in die Situation und die Köpfe anderer Menschen hineinversetzen kann. Ich muss eine Situation analysieren können. Auch muss ich verstehen, was das Bedürfnis der anderen Person – oder des Teams – ist. Dann bin ich in der Lage, meine Worte, meine Handlungen und meine Strategien entsprechend anzupassen, damit mein Gegenüber mir zuhören möchte und – in einem nächsten Schritt – meine Argumente versteht und „kauft“. Wenn ich nicht genügend Beziehungsintelligenz aufbauen kann, entsteht eine Blockade, die verhindert, dass mein Gesprächspartner mit mir einen Schritt weiter geht.

Bei Führungskräften ist Beziehungsintelligenz ganz wichtig. Denn sie sind die Menschen, die ganz oben in einem Unternehmen stehen. Sie tragen die Verantwortung, das Unternehmen zu führen und weiter zu bringen. Ursprünglich kommt der Begriff der Beziehungsintelligenz aus der emotionalen Intelligenz. Diese fokussiert viel mehr auf die eigene Person. Die emotionale Intelligenz schaut wie ich meine eigenen Gefühle identifizieren und regulieren kann. Das heißt aber nicht unbedingt, dass man, wenn man das kann, auch auf andere Menschen eingehen kann. Gerade im Bereich Mitarbeiterführung ist es unerlässlich, dass man sich nicht nur auf sich selbst bezieht und sich selbst gut kennt, sondern dass man in Beziehung zu den Menschen geht, die man letztlich für seine Werte und sein Unternehmen begeistern möchten.

2. Wie kann es gelingen, an der eigenen Beziehungsintelligenz zu arbeiten bzw. diese weiter zu entwickeln?
Ich arbeite viel mit Führungskräften rund um das Thema Beziehungsintelligenz. Dabei gehen wir sehr praktisch heran, denn Beziehungsintelligenz ist kein faktisches Wissen. Beziehungsintelligenz muss man üben. Es ist wichtig zu verstehen, an welchen Stellschrauben jeder einzelne im Miteinander drehen kann. Dann heißt es üben, üben, üben. Als erstes schaue ich gemeinsam mit den Führungskräften wer sie sind. Denn erst wenn ich mich selbst gut kenne, kann ich in einem nächsten Schritt an der Beziehungsintelligenz arbeiten. Grundlegende Basis hierfür ist die Empathie. Sie ist die Gabe, unterschiedliche Menschenprofile zu analysieren und zu erkennen, dass nicht alle Menschen bzw. Mitarbeitende gleich sind. Sie haben unterschiedliche Bedürfnisse und möchten auch unterschiedlich angeleitet und gemanagt werden. Wer braucht was in welcher Situation? Da verwende ich unterschiedliche Instrumente, unter anderem setze ich häufig die DISC-Methode ein, um den Manager*innen zu vermitteln wie viele verschiedene Profile es gibt und wie sie selbst auf andere wirken. Dieses Verständnis kann helfen, um beispielsweise harmonische Teams herzustellen, deren Mitglieder untereinander auch wieder eine stärkere Beziehungsintelligenz haben.

Die gute Nachricht ist, dass jeder Empathie erlernen kann. Wenn ich mit Führungskräften ihren Emotional Intelligence Quotient (EIQ) anhand einzelner Tests erarbeite, fallen die Testergebnisse bereits nach zwei bis drei Wochen Coaching deutlich besser aus als zu Beginn des Trainings.

3. Welche Führungskompetenzen braucht es gerade in diesen turbulenten Zeiten?
Unsere Umwelt wird komplexer und damit werden auch die Kompetenzen komplexer, die Führungskräfte haben müssen. Eine sehr große Herausforderung ist die unglaubliche Geschwindigkeit zu beherrschen, z.B. beim Thema Digitalisierung. 

Führungskräfte müssen darauf achten, dass sie mit der Geschwindigkeit mitkommen und dass sie entsprechende Fachkompetenzen erwerben, um weiter mithalten können.

Eine weitere große Herausforderung an Führungskräfte ist der Generationenwechsel und die unterschiedlichen Anforderungen an Führung. Ich selbst merke ganz stark wie unterschiedlich die Erwartungen der Millennials, der zwischen 1980 und 2000 Geborenen, an Führungskräfte sind. Sie erwarten, von den Führungskräften mit einbezogen zu werden. Ich bin im Aufsichtsrat von sieben Champagnerhäusern. Diese haben seit vier, fünf Generationen ihr Unternehmen erfolgreich von Generation zu Generation weiter geführt. Um eine neue Werbekampagne und die nächsten Firmenstrategien zu entwickeln, haben die Champagnerhäuser ganz bewusst einen Familienrat gegründet. Dieser hat die jüngere Generation integriert, um die Werte der Familien ganz klar zu definieren und um ihre Überzeugungen dem aktuellen Vorstand zu kommunizieren. Nach zahlreichen Meetings hat der Vorstand erfolgreich die Firmenstrategie überarbeitet und dabei die Überlegungen der jüngeren Generation mit einbezogen. Das nenne ich Beziehungsintelligenz, nämlich die Menschen einzubeziehen.

4. Was kann jede Führungskraft tun, um an diesen Kompetenzen weiter zu arbeiten?
Eine ganz wichtige Komponente ist die Fähigkeit, Begeisterung weitergeben zu können. Wer an der Führung eines Unternehmens steht, der muss brennen, damit der Funke auf die Mitarbeitenden überspringen kann. Er muss begeistert sein von seinem Produkt, der Dienstleistung, dem Unternehmen. Um diese Begeisterung zu transportieren, ist es wichtig, dass Führungskräfte lernen, emotional zu kommunizieren. Das gilt für ein Einzelgespräch genauso wie für eine Verhandlung oder eine Mitarbeiterversammlung. Denn Daten und Fakten alleine lösen keine Begeisterung beim Gegenüber aus.

Wer es schafft, dass sein Gegenüber das Funkeln in den Augen spürt, dem gelingt es, dass die Begeisterung auch auf die Mitarbeitenden überspringt. Wem das nicht gelingt, der ist blass. Und eine blasse Führungskraft kann von seinen Mitarbeitenden im Gegenzug keine Begeisterung und Leidenschaft erwarten. In der Mitarbeiteransprache ist es letztlich wie im Verkauf: Der Funke muss überspringen. Damit das gelingt, mache ich in meinen Schulungen beispielsweise viele praktische Übungen zu emotionaler Kommunikation, darunter auch Trainings zu Neuformulierungen. Das heißt, wie kann ich einen Sachverhalt, den ich von meinem Mitarbeitenden erhalten habe, so umzuformulieren, dass er das Gefühl hat „Mein Chef versteht mich“. Meine Teilnehmer*innen haben häufig Aha-Erlebnisse, wenn sie sehen, wie sich Empathie – beispielsweise durch aktives Zuhören – verstärken lässt.

5. Sie arbeiteten und arbeiten viel mit großen Unternehmen zusammen. Was kann der Mittelstand von diesen in Sachen Leadership lernen?
Wenn in einem mittelständischen Unternehmen die Beziehungsintelligenz nicht gelebt wird, ist es meines Erachtens fataler als in einem großen Unternehmen. Denn der Abstand zwischen Chef und Belegschaft ist meist kleiner. Viele große Unternehmen organisieren für ihre Mitarbeitenden mit viel Kreativität und Liebe für Details tolle Events und Motivationsveranstaltungen in ansprechenden Locations. Damit begeistern sie ihre Mitarbeitenden und binden sie an das Unternehmen. Hier bietet es sich an, thematisch ein bisschen über die Firma hinaus zu schauen, um die Mitarbeitenden nicht nur beruflich, sondern auch über ihre Talente und Begeisterung kennen zu lernen. So lassen sich Talente im eigenen Unternehmen identifizieren und fördern. Denn das gehört auch zur Beziehungsintelligenz, dass ich sehe, welche – vielleicht versteckten – Talente in meinen Mitarbeitenden stecken. Da spielt zum einen der Firmenchef eine große Rolle, aber auch die HR-Abteilung, um die Talente so einzusetzen, dass das Unternehmen davon maximal profitiert.

Zu meiner Philosophie gehört, dass gute Führungskräfte in der Lage sein sollten, durch Beziehungsintelligenz auf allen Führungsebenen Markenbotschafter aufzubauen. So können diese an die übrigen Mitarbeitenden auf der gleichen Führungsebene Botschaften noch besser verbreiten als der Chef von oben nach unten. Meines Erachtens ist es eine große Gabe, Markenbotschafter aufzubauen und sie systematisch mit ihren Talenten so im Unternehmen einzusetzen, dass sich die Botschaften im ganzen Unternehmen verbreiten – und darüber hinaus.

Über Michaela Merk
Dr. Michaela Merk hat in den vergangenen 25 Jahren Mitarbeitende einflussreicher Luxusmarken wie L’Oréal, Dior, Hermès, Four Seasons Hotels oder Rolex durch Vorträge, Coachings und Schulungen inspiriert. Als Expertin für Beziehungsintelligenz unterstützt sie Führungstalente erfolgreicher zu werden. Weitere Informationen unter merk-vision.com. Darüber hinaus unterrichtet sie an renommierten Hochschulen Themen in Bezug auf Leadership, Luxus und Marketing.