Circa 25 Prozent aller Schulabgänger sind nicht mehr oder nur noch beschränkt ausbildungsfähig. Wenn sich diese Situation – auch in Anbetracht der demografischen Entwicklung – nicht grundlegend ändert, werden auf viele Unternehmen große Probleme zukommen. Karl-Otto Kaiser ist Berufsschullehrer, Vortragsredner, Querdenker und Menschenentwickler. Kennengelernt habe ich ihn als Referenten über den Verband der Wirtschaftsjunioren und war sofort beeindruckt von seiner authentisch-wertschätzenden Art, mit der er jede Schülerin und jeden Schüler erreicht. Für mich ist er ein Menschenentwickler mit der Gabe, bei jedem Jugendlichen den Schatz – Selbstvertrauen, persönliche Stärken und Begeisterung – heben zu können. Karl-Otto Kaiser gibt Antworten auf die Frage wie Unternehmen auch künftig an gute Auszubildende kommen und wie junge Menschen für Leistung begeistert werden können. Lesen Sie selbst die Tipps des Ausnahmelehrers.
1. Was erwarten Azubis heute von einem Ausbildungsbetrieb?
Heutige Auszubildende erwarten von ihrem Ausbildungsbetrieb spannende, herausfordernde Aufgaben, selbständiges eigenverantwortliches Arbeiten, die Übertragung von Projekten sowie die Unterstützung und Förderung bei der fachlichen und persönlichen Weiterentwicklung. Sie legen Wert auf eine hohe Transparenz und Einblick in alle wichtigen Unternehmensdetails, permanente Information über wichtige Unternehmensangelegenheiten sowie das Erreichen persönlicher Ziele wie beispielsweise mehr Freizeit, Teilzeitarbeit, Jobsharing etc. Das alles gilt für die „guten“ Azubis, also für maximal 60 Prozent der Jugendlichen (nach einer Aussage von Prof. Dr. Jutta Rump, eine der acht wichtigsten Personen für Personalmanagement im deutschsprachigen Raum). In der Regel wollen die jungen Menschen Leistung bringen, das unterschätzen wir nur zu oft.
2. Sie sind seit über 30 Jahren Berufsschullehrer. Was hat sich im Laufe der Jahre bei den Jugendlichen verändert? Was macht Ihres Erachtens die heutigen Generationen Y und Z aus?
Meiner Einschätzung nach haben 20 bis 30 Prozent der Jugendlichen keine Lust zu lernen. Ich glaube, dass das sehr stark an der Erziehung liegt. Ich selbst habe damals beispielsweise die Wertvorstellungen von meinen Eltern, den Nachbarn und den Großeltern mitbekommen. Die Verantwortung im Hinblick auf die Einstellung der Jugendlichen liegt also klar bei den Eltern. Der zentrale Punkt ist es, nicht die Schulen noch moderner und digitaler zu machen, sondern die Eltern zu unterstützen, damit die Schulzeit für alle einfacher und erfolgreicher wird. Nehmen wir ein berufstätiges Elternpaar oder eine alleinerziehende Mutter. Da ist im Alltag oft zu wenig Zeit für die Kinder. Viele Eltern haben sich verabschiedet – die Erziehung wird outgesourct – bzw. sind überfordert, ihre Kinder zu unterstützen, anzuleiten und zu fördern. Freude an Leistung ist bei vielen Jugendlichen absolut out und Leistungsträger werden gemobbt. Die Konsequenz ist, dass das Leistungsniveau in vielen Bereichen sinkt z.B. bei den IHK-Prüfungen. Wer anderes will, wird als ewig Gestriger bezeichnet. Inzwischen sind rund 25 Prozent der Schulabgänger nicht ausbildungsfähig, das heißt zunächst einmal, sie können nicht ausreichend lesen, schreiben und rechnen und haben dadurch große Probleme in der Berufsschule und im Berufsalltag, beispielsweise im Umgang mit Kunden, Geschäftspartnern, Kollegen und Vorgesetzten. Häufig übernimmt der Ausbildungsbetrieb ein Stück weit den Erziehungsauftrag. Bei schwachen Auszubildenden wird der Betrieb aus meiner Sicht häufig sogar zum Sozialarbeiter.
Eine Lösung für die Zukunft ist es seitens der Schule, die Schüler stärker zu differieren, da ja nicht 30 Schüler in der Klasse gleich sind. So sollten meines Erachtens mehr Talente gefördert werden, z.B. wenn jemand sich für Sprachen interessiert und talentiert ist, muss er sich nicht mit Physik herumplagen.
3. Was können die Unternehmen aktiv tun, um der Entwicklung entgegenzuwirken oder den Jugendlichen zu helfen?
Unternehmen können sich sehr viel stärker in die Bildungspolitik einbringen, sich stärker im Schul- und dem gesamten Bildungsbereich engagieren und dazu beitragen, dass Eltern bei ihrer Elternarbeit unterstützt werden und Hilfen bekommen. Auch dazu gibt es inzwischen einige sehr positive Beispiele. Vom Handwerksunternehmen HELDELE erhalten alle Mitarbeiter auf Wunsch eine Elternfortbildung, Schulen werden bei Technikprojekten und mit Projekten zur Berufsorientierung der Schüler unterstützt und Lehrerfortbildungen gehören auch dazu. Die Kurse zu Elternfortbildungen im Rahmen des Programms „GdS – Gesetze des Schulerfolgs“ (… unsere Kinder sollen später nicht Leistungsempfänger, sondern Leistungsträger sein), werden auch interessierten Eltern, Kommunen, Kindergärten, und Schulen im gesamten Landkreis Göppingen angeboten und die Rückmeldungen sind überwältigend. Infos siehe www.heldele-stiftung.de. Inzwischen wurden drei Elterntrainer ausgebildet. Diese Aktivitäten zahlen sich mehr als aus – es bewerben sich sehr gute Schüler für Ausbildungen und für Studiengänge. Und es gibt jede Menge Auszeichnungen bei den Abschlüssen und auch für das Engagement des Unternehmens.
Ideal wäre es, wenn jedes Unternehmen in seinem regionalen Umfeld mehr machen würde wie Kontakte zu Schulen pflegen, Bildungspartnerschaften mit Schulen eingehen und diese Partnerschaften auch mit Leben füllen oder regelmäßig Treffen mit Lehrern vereinbaren, um zu besprechen was jeden umtreibt.
4. Wie kommen Unternehmen an ihr wichtigstes Gut – motivierte und engagierte Mitarbeiter?
Unternehmen ziehen motivierte und engagierte Mitarbeiter durch ihre gelebte Unternehmenskultur an. Diese wird aktiv über viele Kanäle kommuniziert, sei es über zufriedene Mitarbeiter, Öffentlichkeitsarbeit, Anzeigenkampagnen oder Social Media Aktivitäten. So erfährt der Auszubildende was ihn im Unternehmen erwartet. Der Schindlerhof beispielsweise schickt seinen Bewerbern seine Imagebroschüre vor dem Bewerbungsgespräch zu. Azubis von tempus gehen in Schulen und stellen in Klassen ihren Ausbildungsbetrieb, ihren Ausbildungsberuf und die prickelnden Momente in ihrer Ausbildungszeit vor. Interessierte Schüler können dann direkt bei diesen Azubis ein Praktikum vereinbaren.
Top-Unternehmen wie beispielsweise Schindlerhof, Phoenix Contact, tempus, easysoft, Buurtzorg, St. Martin-Schule am Bodensee, Apple Deutschland, Coplaning, Upstalsboom, Festo usw. sind damit schon seit Jahren sehr erfolgreich. Das gilt sowohl für Mitarbeiter als auch für die Azubis.
5. Die landläufige Meinung der Lehrerschaft ist ja häufig keine gute. Was treibt Sie an, sich so über Ihr berufliches Engagement hinaus einzubringen? Warum brennen Sie so für das Thema Menschenentwicklung und sind neben Ihrem Beruf so umtriebig?
Unternehmen und Menschen, die eine Mission haben, die etwas machen wollen, und im Zuge dessen Persönlichkeiten entwickeln, faszinieren mich schon immer. Als Lehrer in einer beruflichen Schule habe ich den Vorteil, dass ich näher an Unternehmen dran bin. Immer wenn ich einen Berufsschüler aus einem neuen Betrieb in der Klasse gehabt habe, habe ich das Unternehmen besucht, mich vorgestellt und mit dem ausbildenden Betrieb gesprochen was die jeweiligen Vorstellungen sind. Und ich habe parallel zu meinem Lehrerdasein sehr viele Praktika absolviert. In den Schulferien habe ich verschiedene Unternehmen besucht, was mir sehr viel bei meinem Unterricht und dem Umgang mit meinen Schülern geholfen hat. Wenn ich beispielsweise die Arbeit eines Schülers korrigiert habe und dieser meinte, dass ich den Verlauf eines Verkaufsgesprächs gar nicht beurteilen könne, da ich Theoretiker sei, habe ich das zum Anlass genommen und den Chef des Unternehmens angerufen und um ein Schnupperpraktikum gebeten. Das hat sich bei den Schülern schnell rumgesprochen. Wer meinte, dass er große Sprüche machen kann, da ich als Lehrer nicht weiß wie der Alltag in einem Betrieb aussieht, konnte damit rechnen, dass ich in den nächsten Schulferien in seinem Betrieb zwei Wochen als Praktikant arbeite. Das hat mir bei den Schülern Akzeptanz und Respekt eingebracht und mir jede Menge Einblicke in betriebliche Abläufe.