5 Fragen an Dr. Cornelia Tanzer

1. Warum braucht es gerade jetzt ein neues Führungsverständnis?

Aus meiner Erfahrung braucht es ein erweitertes Führungsverständnis. Es reicht nicht mehr aus, noch so zu führen wie in den 1980er und 1990er Jahren. Warum ist das so? Wir haben dazu vier Hauptgründe herausgearbeitet.

Zum einen gibt es heutzutage viel größere Anforderungen an Veränderungsdynamiken. Das Business ist volatiler. Unternehmen denken heute global. Es gibt die Effekte, dass neue Geschäftsmodelle auf den Markt kommen, die das eigene bedrohen, dass Zielgruppen wegbrechen, dass sich Käuferverhalten völlig anders darstellt als in der Vergangenheit. Eine ganz andere Veränderungsdynamik und Komplexität, die in den letzten 50 bis 70 Jahren meßbar deutlich zugenommen hat.

Ein weiterer Grund sind die angepassten Organisationsformen. Neue Arbeitsmodelle, neue Arbeitszeitmodelle, Führung auf Distanz, Führung in Teilzeit und Teilzeitstrukturen. Die Organisationsformen verändern sich und das bringt neue Anforderungen an Führung mit sich.

Ein dritter Grund ist, dass die neuen Generationen Y und Z, die ab 1985 geborenen Arbeitnehmer, eine andere Erwartung an Führung haben. Ich habe kürzlich in einem Universitätsklinikum einen Chefarzt gecoacht. Er ist eine Koryphäe auf seinem Gebiet und versteht nicht, warum ihm die Assistenzärzte weglaufen. Unter anderem entsprechen ihre Arbeitszeitvorstellungen nicht seinen Anforderungen. Die Generation hat einen anderen Anspruch an Work-Life-Balance.

Viertens haben wir einen Arbeitnehmermarkt. Unternehmen müssen sich um gute Mitarbeitende bewerben, nicht nur um die guten Youngsters, sondern auch um gute Fach- und Führungskräfte. Das führt dazu, dass das Thema Führung und Kultur ein weiteres Wahlkriterien für Arbeitnehmer wird. Selbstverständlich müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen. Aber wenn ein Arbeitnehmer die Auswahl zwischen zehn Unternehmen hat, dann entwickelt er noch mal andere Kriterien für seine Wahl. Daher braucht es heute ein umfassenderes Führungsverständnis als in der Vergangenheit.

2. Wie kann eine Führungskraft das Betriebsklima ganz konkret beeinflussen?

Aspekte wie beispielsweise die Vergütung oder die Stärke der Arbeitgebermarke beeinflussen das Betriebsklima, können aber nicht von jeder einzelnen Führungskraft direkt beeinflusst werden. Manche finden es beispielsweise cool, bei Google zu arbeiten und fühlen sich deshalb schon gut. Da hat die Führungskraft noch nicht viel aktiv dazu beigetragen. Es gibt aber auch Aspekte wie z.B. die Zusammenarbeit im Team, die Stimmung, die Art der Konfliktlösung, die eine Führungskraft klar beeinflussen kann. Auch Orientierung und Klarheit sowie Sinnvermittlung sind wichtige Aspekte, um sich in einer Organisation wohlzufühlen. Auch das lässt sich durch eine Führungskraft direkt beeinflussen.

3. Wie können Führungskräfte mit den sich verändernden Ansprüchen der unterschiedlichen Mitarbeitergenerationen umgehen?

Die Führungskräfte kommen nicht drum herum, sich mit den Bedürfnissen ihrer Mitarbeitenden auseinanderzusetzen. Es gibt ein paar Generationsspezifische wie zum Beispiel das Bedürfnis nach Entwicklung. Die Generation Y wird immer fälschlicherweise als „faul“ verschrien. Sie ist durchaus sehr leistungsorientiert und leistungsbereit, aber sie hat einen Anspruch, gefördert und entwickelt zu werden. Vertreter dieser Generation lassen sich nicht mit langweiligen Aufgaben binden. Wer diese Mitarbeitenden nicht fördert und fordert, verliert sie. Aufgabe der Führungskraft ist es hier, sich zu überlegen, wie sich das Bedürfnis nach Entwicklung im Arbeitsalltag bedienen lässt.

4. Sie sprechen immer wieder von Followership. Was steckt hinter diesem Begriff? Und was kann eine Führungskraft tun, um die Followership zu erhöhen?

Followership ist durchaus ein Begriff, den man immer wieder in der Führungsliteratur findet. Followership entsteht bei Führungskräften, wenn es ihnen gelingt, einen Zustand zu erzeugen, in dem ihnen Mitarbeitende freiwillig folgen. Pull statt Push. Sie führen nicht mit Druck, sondern erzeugen eine Anziehungskraft. Durch ihr Führungsverhalten gelingt es ihnen, dass die Mitarbeitenden ihnen freiwillig folgen und bereit sind, ihnen ihre Arbeit zur Verfügung zu stellen. Dazu gibt es spannende Studien, wie das entsteht. Dann sind Sie im Bereich von sogenannten Transformationalen Führungsqualitäten. Führungskräfte, die Sinn vermitteln können, die sich für die Entwicklung von Mitarbeitenden einsetzen, indem sie diese aktiv fordern und fördern, haben diese Führungsqualitäten. Sie machen sich viele Gedanken wo der Mitarbeitende wachsen kann. Die Art der Führung ist eher menschen-, beziehungs- und wachstumsbezogen als rein sach- und aufgabenbezogen. Es gibt eine Studie von Amy Cuddy, die zeigt, dass Führungskräfte eine hohe fachliche Kompetenz aber auch eine hohe soziale Kompetenz brauchen, um Followership erzeugen zu können.

5. Welchen konkreten Nutzen bietet Führungsstil-Diagnostik und wo ist der Return on investment für ein Unternehmen?

In Bezug auf die einzelne Führungskraft liefert die Führungsstil-Diagnostik das Ergebnis, welche Führungsstile in einer hohen Ausprägung verfügbar sind und eingesetzt werden. Das ist die Selbstperspektive. Noch viel relevanter ist sicherlich die Auswertung der Fremdperspektive wie die Mitarbeitenden die Führungsstile wahrnehmen.
Ein weiteres relevantes Ergebnis ist inwieweit die Führungsstile situationsangemessen eingesetzt werden. Es reicht nicht, ein oder zwei Führungsstile einzusetzen, idealerweise braucht es vier bis sechs Führungsstile, um auch positiven Einfluss zu haben auf Klima, Leistungsmotivation und letztendlich auf die Ergebniskennzahlen in Organisationen. Wenn ich als Führungskraft eine Führungsstil-Diagnostik mache, erhalte ich ein Feedback, welche Führungsstile ich einsetze und wie situationsangemessen sie sind. Liegt zu Beginn eines Führungskräfteprogramms eine Diagnostik über eine Führungskraft vor, dann lässt sich sehr viel gezielter eine Entwicklung darauf aufsetzen.

In der organisationalen Perspektive sieht ein Unternehmen welche Führungsstile insgesamt besonders dominant ausgeprägt sind und das bietet einen Hinweis für die Führungskräfte-, Organisations- oder Kulturentwicklung. Ein Beispiel dazu: Ein Kunde war in seinem Geschäftsmodell marktseitig bedroht und wollte deutlich innovativer und veränderungsfreudiger agieren. Er hatte primär Führungsstile, die das ein Stück weit verhindern, da sie mehr auf Kontrolle und Ansage setzten. Damit entstehen natürlich wenig neue Ideen und Innovationen innerhalb der Organisation.

Generell gilt, je mehr Führungsstile eine Organisation in einer hohen Ausprägung situationsangemessen einsetzt, umso positiver ist das Klima, umso weniger sind die Mitarbeitenden krank und umso weniger Fluktuation herrscht. Im Umkehrschluss lassen sich so hohe Ausgaben beim Rekruiting einsparen.

Über meine Geschäftspartnerin

Dr. Cornelia Tanzer ist Unternehmerin, Arbeits- und Organisationspsychologin und seit mehr als zwei Jahrzehnten Expertin für Managementdiagnostik. Sie Ist in Inhaberin eines Beratungsunternehmens und Managing Director von xlnc Leadership.

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