„Das anständige Unternehmen. Was richtige Führung ausmacht – und was sie weglässt“

Mahl ehrlich, braucht die Führung in Deutschland eine weitere Lektüre, die mit erhobenem Zeigefinger auf die Welt der Unternehmer und Führungskräfte schaut? Ist sie wirklich so korrekturbedürftig, dass es eines solchen Buches bedarf? Haben die Führungskräfte etwa den „Anstand verloren“. Das waren meine ersten Gedanken, als ich vom neuen Buch des Managementberaters Reinhard K. Sprenger gehört habe.

Dennoch war ich gespannt, was Sprenger dieses Mal an Provokation und Kritik vorzubringen hat. So hat sein Buch „Mythos Motivation“ schon 2005 die Welt der Motivationsgurus auf den Kopf gestellt und mit knackigen Thesen behauptet, warum wir als Führungskräfte Mitarbeiter nicht motivieren können.

Anstand durch Abstand – das ist die Kernthese des Buches. Sprenger erklärt, wie wir in den Unternehmen wieder zu mehr Anstand kommen. Es geht unter anderem um Formen der Distanzen, des Respekts und der Höflichkeit.

Was dieses Buch aus meiner Sicht so lesenswert macht ist, dass der Fokus des Buches von Sprenger, der ja bekanntlich für die Big-Player arbeitet, auf einer klaren ethischen Entscheidung beruht: dem Umgang von Unternehmen mit ihrer letztlich wertvollsten Ressource, ihren Mitarbeitern.

Statt wie erwartungsgemäß auf Tipps zu hoffen, geht Sprenger einen anderen Weg und erklärt an vielen anschaulichen Beispielen, was wir als Führungskräfte „lassen sollen“ um besser führen zu können. Er geht dabei auf fünf Kernprinzipien ein und findet aus meiner Sicht gute und übertragbare Praxiserklärungen. Beispielsweise: Betrachte Mitarbeiter nicht als bloße Mittel, versuche Menschen nicht zu verbessern. Darin wieder lesenswerte Aussagen mit Überschriften wie „Pädagogisierung der Unternehmensführung“ , „die Pathologisierung des Mannes“, „Rennlisten und andere Vergleiche“.

Vieles lehnt Sprenger ab: Unternehmensleitlinien, Feedback-Kultur, regelmäßige Mitarbeitergespräche und selbst eine Vorbildaufgabe von Führungskräften. Dem muss man aus meiner Sicht nicht zwingend folgen und sicher muss man nicht alles bestätigen, was der Autor vertritt. Manches ist sehr schwer umzusetzen. Und dennoch gelingt es ihm zweifelsohne durch gezielte Provokation, das eigene Führungsdenken und Verhalten zu hinterfragen.

Sehr positiv und auch beeindruckend ist, dass Sprenger den Leser am Schluss auffordert, über sein persönliches Menschenbild nachzudenken: „An welchem Menschenbild wollen wir uns orientieren?“ Die Antworten sind knapp, jedoch richtungsweisend wie z.B. der Mitarbeiter als Verhandlungspartner, als Erwachsener, als Individuum und als Mensch.

Es ist ohne Zweifel ein Buch, das sich nicht „schnell“ überfliegen lässt, da es die Themen im Detail hinterfragt. Wer sich durch die teilweise sehr komplexen Themen durchringt, gewinnt viel: neue Perspektiven, Paradigmen, die ins Wackeln geraten, neue Möglichkeiten für Führung und vielleicht neue Spielregeln für Organisationen.

Wer sollte das Buch lesen?

Alle, die in irgendeiner Weise in Führungsverantwortung stehen und bereit sind, sich emotional und intellektuell provozieren zu lassen, um die persönlichen Überzeugungen und Führungsansichten auf den Prüfstand zu stellen. Allen voran jedoch Unternehmenslenker und Geschäftsführer, denen bewusst sein muss, dass „anständige“ Unternehmens- oder Betriebsführung Teil ihrer Verantwortung ist.

Das anständige Unternehmen. Was richtige Führung ausmacht – und was sie weglässt
Gebundene Ausgabe: 384 Seiten, 26,90 EUR
Verlag: Deutsche Verlags-Anstalt; Auflage: 2 (28. September 2015)
ISBN-10: 3421047065
ISBN-13: 978-3421047069

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