Mathias Haas

1. Der Mittelstand in Baden-Württemberg hat derzeit noch überwiegend volle Auftragsbücher und schafft es vor lauter Tagesgeschäft kaum, Geschäftsmodelle auf ihre Zukunftsfähigkeit hin zu hinterfragen und Trends zu verfolgen. Welche Trends beeinflussen aus Ihrer Sicht die Arbeitswelt in Deutschland?

Es gibt drei große Trends. Einer ist der demographische Wandel. Ältere Menschen gehen nachweislich weniger Risiken ein, sie haben statistisch gesehen ein älteres Wissen, denn ihre Schul- und Ausbildungszeit liegt schon einige Zeit zurück. Diese zwei Faktoren prägen uns sehr massiv und die wenigsten Unternehmen erkennen das, da sie beispielsweise in Oberschwaben, im Schwarzwald oder in Kassel ansässig sind und keine Gelegenheit haben, international über den Tellerrand zu schauen.


Ein weiterer Trend ist der der Mini-Wettbewerber. Egal in welcher Branche, es gibt mittlerweile hunderte wenn nicht auch tausende Mitbewerber. Beispielsweise gibt es zwischenzeitlich tausende von Mikro-Brauereien oder Modelabels, die nebeneinander bestehen. Wenn nur ein paar von den zahlreichen Mitbewerbern einer Branche nur ein halbes Prozent des Marktanteils herzaubern, dann ist das viel gefährlicher als E-Mobility oder das selbstfahrende Auto.

Und nicht zuletzt ist es die Haltung, die die Arbeitswelt beeinflusst. Lebt ein Unternehmen selbstherrlich von der Substanz oder hat es verstanden, dass der Wurm dem Fisch schmecken muss und nicht dem Angler und es sich dem Markt anpassen muss.

 

2. Wie verändern diese Trends die Führung in deutschen Unternehmen?

Das ist sehr unterschiedlich. Wir werden jetzt alle agil. In der Führung gibt es glücklicherweise immer wieder diese „Zukunftsrebellen“, die verstehen, dass es so nicht weitergehen kann. Das Blöde ist nur, dass sie meist ziemlich isoliert sind. Mit etwas Glück ist es der Inhaber, und hier kommt es auch auf seine Bereitschaft an, wie weit er agil werden möchte.
Wenn Führungskräfte verstehen, dass sie ihre Haltung ändern müssen, gäbe es eine Revolution. Denn anders können Unternehmen nicht gegenübern neuen Playern oder Märkten bestehen.
In Deutschland vertreten wir immer die Auffassung, dass wir viel und hart arbeiten. Im internationalen Vergleich, zum Beispiel mit Korea und China, stimmt das allerdings nicht. Meine These ist, wenn wir Lösungen nicht um die Ecke denken, dann wird es für uns in Deutschland nicht erfolgreich weitergehen. Die Freiheit, die wir haben, die sollten wir auch bis zum Limit ausnutzen, um „bekloppter“ zu sein als die Nationen und Kulturen, die das nicht dürfen und auch nicht können. Verrückt sein, bekloppt sein, und um die Ecke denken – das macht den großen Unterschied, auf den Unternehmen setzen sollten.

 

3. Sie arbeiten auch mit Unternehmern und Führungskräften. Wie erleben Sie aus Ihrer Erfahrung als Berater wie sich die Haltung zur Führung verändert?

Ich mache mir manchmal Sorgen, ob unsere Kunden in fünf oder zehn Jahren noch da sind. Ich hoffe, dass diese Zukunftsrebellen, diese einsamen Wölfe, geduldet werden, dass sie Gehör erhalten sowie Geld und Macht. Ich befürchte aber, dass die wenigsten inhabergeführten Unternehmen das zulassen werden. Ich kenne Fälle, in der die Familie im Jahr mehrere Millionen aus der Firma herauszieht, aber keinerlei Innovationen in der Pipeline hat. Das ist angenehm für den privaten Lebensstil, aber relativ schwierig für ein zukunftsfähiges Unternehmen. Ich glaube, dass wir diese Gefahren unterschätzen. Einen Anbieter aus Indonesien nimmt derzeit keiner ernst, eine Butze aus Biberach als kleinen Mitbewerber mit vier Mitarbeitern auch nicht. Hinzu kommt das Anspruchsdenken der Mitarbeiter, das recht hoch ist. Hier liegt es nicht nur an der Haltung der Führungskräfte. Ich bin skeptisch, ob Unternehmen dies rechtzeitig erkennen. Es muss mehr in Innovationen investiert werden und auch die Einstellung der Mitarbeitenden muss sich ändern. Des Weiteren ist auch eine Machtverschiebung zu beobachten. Hierzu ein kleines Beispiel aus der Automobilbranche. Bei einem E-Auto kommt es maßgeblich auf eine gute Batterie und Software an. Hierfür wird im Verhältnis viel Geld bezahlt. So werden die Lieferanten mächtiger und bekommen ein „größeres Stück vom Kuchen“ ab, was dazu führt, dass sich die Machtverhältnisse zwischen den Herstellern und Lieferanten verschieben.

 

4. Wie kann der Mittelstand seine Führungskräfte und Mitarbeitenden gut auf die Zukunft vorbereiten? Auf was kommt es besonders an?

Das Notwendige und gleichzeitig auch Schwierige ist, dass die tollen Visionen so formuliert werden, dass sie zu besonderen Geschichten werden, die daraufhin Schritt für Schritt operationalisiert werden. Dies passiert meist über eine geschickte Positionierung, die auf Emotionen setzt anstatt reinen Fakten. Techniker denken beispielsweise nicht in Geschichten. Für sie sind Geschichten eher etwas für Kinder oder den Bereich der Esoterik. Sie kann man mit einem Excel-Sheet begeistern. Um Techniker und Ingenieure über besondere Geschichten zu gewinnen, arbeiten wir teilweise mit Menschen zusammen, die aus dem Theaterbereich kommen. Ihnen gelingt es die Zielvorstellungen anders, emotionaler zu kommunizieren, um jeden zu erreichen. Diese Art, Visionen zu formulieren, ist eine große Möglichkeit für Unternehmen und ein riesiges Feld, das bisher noch nicht bespielt wird. Wichtig ist, dass die neuen Abläufe bis zum Staplerfahrer runtergebrochen werden müssen, so dass alle Mitarbeitende die Änderungen verstehen und umsetzen. Da liegt noch jede Menge Arbeit vor den Unternehmen und insbesondere den Führungskräften. Das ist sicherlich auch der Grund, weshalb dieser komplexe Bereich häufig ausgeblendet wird.

Möchte eine Firma in der Produktion beispielsweise schneller werden, werden zwangsläufig mehr Fehler passieren. Das Tolle daran ist, dass die Fehler günstiger werden, da sie nicht so lange gelaufen sind. Der Mitarbeiter in der Produktion wird das neue Vorgehen solange nicht verstehen, bis er einen Bonus erhält fürs Fehler begehen. Dann erst versteht er, dass er einen Fehler machen darf bzw. machen muss. Doch welcher Unternehmer zahlt einen Bonus fürs Fehler machen?

 

5. Sie arbeiten viel mit der Methode LEGO® SERIOUS PLAY®. Was ist das und welchen Nutzen bringt die Methode einer Organisation?

In LEGO® SERIOUS PLAY® Workshops erarbeiten die Teilnehmer beispielsweise neue Geschäftsstrategien, sie entwickeln oder optimieren die Zusammenarbeit im Team, oder sie analysieren Krisensituationen und erarbeiten hierfür Lösungskonzepte. Zertifizierte Moderatoren sollen den Prozess so steuern, dass die Ziele des Workshops durch die Teilnehmer selbst erreicht werden.

Nennenswert ist, dass zunehmend auch mittelständische Unternehmen diese Methode zulassen und anwenden möchten. Bei LEGO® SERIOUS PLAY® gibt es keine oder wenige Machtverhältnisse und das Denken passiert mit den Händen. Hier geht es um mehr Offenheit und weniger Höflichkeit. Die Steine helfen, die Antwort zu formulieren. Ich finde das faszinierend, fast schon zauberhaft, wie durch diese Methode mit spieltypischen Elementen passende Antworten entstehen. Es ist toll zu beobachten wie Teilnehmer auf die schwierigsten Fragen Antworten haben, diese dann verdichten und darüber hinaus dabei Spaß haben und lachen. Das ist auf jeden Fall ein wichtiges Argument für Gamification.

 

Über meinen Gesprächspartner:
Mathias Haas gilt als Experte für die Megatrends der Zukunft. DER TRENDBEOBACHTER aus Stuttgart steht als Redner auf nationalen und internationalen Bühnen, vor den verschiedensten Zielgruppen und Branchen. Sein Anliegen ist es, Organisationen fit für die Zukunft zu machen. Er war einer der ersten in Deutschland, der vor gut 12 Jahren die Ausbildung zum LEGO® SERIOUS PLAY® Professional absolviert hat und diese Workshops und Ausbildungen in seiner PLAY SERIOUS AKADEMIE anbietet. Weitere Infos zu Mathias Haas unter www.trendbeobachter.de