5 Fragen an Dr. Markus Ebner

1. Wie würdest du Positive Leadership beschreiben und warum ist dieser Ansatz wichtig für Führung in Unternehmen?

In einfachen Worten beschrieben: Positive Leadership konzentriert sich nicht nur auf die Fehler und das, was bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht funktioniert, sondern geht davon aus, dass Menschen bestimmte Stärken und bestimmte Kompetenzen haben und dass bestimmte Dinge, die sie tun, sie geradezu beflügeln und ihnen Energie verleihen. Die Logik, die hinter Positive Leadership steht, ist, eben dieses Positive bewusst zu nutzen, indem man auch die Stärken der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erkennt und diese ganz gezielt einsetzt. Aber es gehört zum Beispiel auch etwas ganz Pragmatisches dazu, das Führungskräfte sehr oft nicht – oder viel zu wenig – machen. Wenn etwas besonders gut gelaufen ist, dies mit derselben Akribie zu analysieren, warum es gut gelaufen ist. So machen wir es ja auch, wenn etwas nicht so gut gelaufen ist. Die meisten sind es gewohnt, in einem Meeting sehr genau zu analysieren, wenn etwas nicht optimal gelaufen ist. Das ist übrigens sehr wichtig ist, denn es heißt ja, wenn ich aus Fehlern lerne, dann weiß ich, was ich beim nächsten Mal nicht wieder genauso mache. Manchmal läuft es aber auch sehr, sehr gut. Und wenn ich überdurchschnittlich erfolgreich sein will, dann ist es wichtig, auch diesen Teil genauso akribisch zu analysieren.

Warum braucht es nun Positive Leadership? Ich glaube, wir sind alle so sozialisiert, Fehler zu erkennen, Fehler zu sehen, vielleicht auch an unseren Fehlern zu arbeiten. Aber wir wurden sehr wenig dahingehend sozialisiert, auch das, was besonders gut funktioniert, gezielter und noch besser zu nutzen. Und das ist der Grund, warum sehr viele Führungskräfte sehr fehlerorientiert führen. Weil wir das so gelernt haben. Führungskräfte geben immer noch weitaus mehr Feedback, wenn etwas nicht so läuft wie es laufen sollte. Und deswegen braucht es diesen Ansatz von Positive Leadership, der ganz gezielt auch das positive Feedback in den Vordergrund stellt.

2. Wie werde ich ein Positive Leader?

Das ist eine schöne Frage, die ich sehr oft gestellt bekomme. Und ich würde sie fast dahingehend übersetzen, auch wenn das eine etwas schräge Analogie sein mag, als ob jemand fragt „Was genau muss ich tun, um ein richtig guter Liebhaber zu werden? Sag mir bitte mal das Rezept!“ Ich denke, mit diesem Bild können sicher mehr Menschen etwas anfangen, weil es nicht ganz so abstrakt ist. Die Antwort auf deine Frage ist vielschichtig. Das eine ist natürlich, wo fange ich mit Positive Leadership an? Wie passt meine Persönlichkeit zu diesem Führungsansatz? Wir haben eine Studie gemacht, in der wir untersucht haben, wie Persönlichkeitseigenschaften mit diesem Führungsansatz korrelieren. Das heißt, wir haben untersucht, ob bestimmte Persönlichkeitstypen mehr in Richtung Positive Leader agieren, ohne dass sie jemals dafür ausgebildet worden sind. Und da haben wir festgestellt, dass extrovertierte Menschen offensichtlich von ihrem Naturell aus mehr in diese Richtung agieren als introvertierte Menschen. Gleichzeitig haben wir festgestellt, dass Menschen, die einen sehr hohen Neurotizismuswert haben, also tendenziel eher unsicher, nervös und ängstlich sind, von ihrer Persönlichkeit her sehr wenig wie ein Positive Leader agieren. Das heißt, wir haben auf der einen Seite die Persönlichkeit. Das ist das, was jemand mitbringt. Dann haben wir etwas, was ich für sehr relevant halte, nämlich eine Art Mindset, die Einstellung. Was denkt jemand aufgrund seiner Sozialisierung, was eine gute Führungskraft ausmacht? Zum Beispiel Führungskräfte der 1960er und 1970er Jahre, so wie man sie auch aus alten Filmen kennt, hatten damals sicherlich kein Mindset von Positive Leadership. Hier ging es in erster Linie um Kontrolle und Bestimmen. Und dann gibt es als dritte Komponente noch ganz bestimmte Verhaltensweisen, das heißt, wie jemand etwas ganz konkret macht.

Ich bin der Auffassung, dass es ganz wichtig ist, dass man diese drei Aspekte immer im Zusammenspiel miteinander sieht. Wenn beispielsweise jemand ein Positive Leader werden möchte, das aber gar nicht zur Einstellung dieser Person passt, dann kann man ihr zwar bestimmte Verhaltensweisen zeigen, sie wird aber sehr wahrscheinlich nicht als authentisch wahrgenommen werden. Für mich ist Positive Leadership eine Einstellung, die ich mir selbst und auch anderen Menschen gegenüber habe, gepaart mit bestimmten Verhaltensweisen. Beides lässt sich weiter entwickeln.

Ich glaube allerdings nicht, dass jede x-beliebige Person wie ein unbeschriebenes Blatt geeignet ist, um daraus eine Positive-Leadership-Story zu schreiben. Das ist auch gut. Sonst könnten wir jeden Menschen als unbeschriebenes Blatt sehen, das wir egal wohin entwickeln können. Das würde völlig negieren, dass wir auch unsere Persönlichkeit haben, dass wir gewachsene Einstellungen haben. Hier ein Beispiel zur Veranschaulichung: Wenn jemand bereits regelmäßig Sport treibt und sagt, ich möchte einen Marathon laufen, dann hat er sicherlich andere Voraussetzungen als jemand, der jetzt erst mit dem Sport anfängt. Trotzdem haben beide die Möglichkeit – nur der Weg, den sie beschreiten, ist ein anderer. Meiner Meinung nach sollte genau das berücksichtigt werden, wenn wir von Positive Leadership sprechen. Denn jede und jeder startet in Bezug auf Persönlichkeit, Verhaltensweisen und Einstellung auf einem anderen Level. Und genau das vermitteln wir Positive Leadern, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Individuum gesehen werden und nicht als Objekt, das man einfach mit den richtigen Verhaltensweisen anpassen muss.

3. Wie lassen sich die PERMA-Faktoren ganz konkrekt in der Praxis umsetzen?

Ich möchte die Logik von PERMA noch ein bisschen veranschaulichen. Wir haben damit ein tolles Geschenk aus der positiven Psychologie bekommen, das noch gar nicht für Leadership gedacht war. Man hat sich angeschaut, welche Rahmenbedingungen Menschen brauchen, damit sie ihre Potenziale entfalten können. Im amerikanischen Raum heißt das Flourishing, also Aufblühen. Das heißt, in einem Menschen ist bereits schon etwas wie ein Samenkorn vorhanden. Und wenn die Rahmenbedingungen stimmen, dann kommt es dazu, dass dieses Samenkorn sein volles Potenzial entfaltet. Das wäre dann diese Stärkenentfaltung. Man hat untersucht, wo es überall zu dieser Potenzialentfaltung kommt. Und daraufhin hat man analysiert, welche Faktoren immer wieder in den Einrichtungen vorkommen, in denen es zu einer solchen Potenzialentfaltung kommt.

Man kann tatsächlich fünf Faktoren beschreiben, die für den Menschen als „Nährstoffe“ wichtig sind. Das zeigen auch unsere Untersuchungen. Wenn diese Faktoren in ausreichender Menge vorhanden sind, dann ist es nebensächlich, zu wissen, welches Potenzial diese Menschen haben, denn dann liegt offensichtlich die richtige Nährstofflösung vor, damit sie sich entfalten können. Jeder Buchstabe von PERMA steht für einen dieser Nährstoffe.

  • P steht für positive Gefühle.
  • E steht für Engagement. Das bedeutet, dass ich mich gemäß meiner Stärken einbringen kann, dass ich Entscheidungsspielräume habe.
  • R steht für Relationships, also Beziehungen, die Menschen in ihrem Leben haben.
  • M steht für Meaning. Das ist die erlebte Sinnhaftigkeit, die jemand empfindet.
  • A steht für Accomplishment oder Achievement – das ist das bewusste Wahrnehmen, wenn man ein Ziel oder ein Teilziel erreicht hat.

Wenn Menschen diese fünf Faktoren erleben, dann führt das mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass sich ihre Stärken entfalten. Man hat sehr viel in Schulen untersucht und festgestellt, wenn dort genug von den PERMA-Faktoren da ist, dann wirkt sich das nicht nur auf das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler aus, sondern sogar zum Beispiel auch auf deren Mathematiknoten. Und das hat uns zu der Annahme gebracht, wenn PERMA offensichtlich die Leistung von Schülerinnen und Schülern steigert, dann müsste das auch in Unternehmen wirken, wenn Führungskräfte ganz gezielt durch ihr Verhalten dazu beitragen, diese „PERMA-Nährstofflösung“ positiv zu beeinflussen. Und deswegen haben wir aus diesem PERMA-Modell, das sich einfach auf Menschen generell im Leben bezieht, daraus das PERMA-Lead-Modell entwickelt. Dieses beschreibt die Führungskraft in der Rolle einer Gärtnerin oder eines Gärtners, die oder der es als ihre bzw. seine Führungsaufgabe sieht, aktiv zu den Faktoren bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beizutragen. Die Forschung, die wir jetzt seit vielen Jahren dazu machen, zeigt, dass das am Arbeitsplatz genauso funktioniert wie in der Schule. Die Leistung steigt, die Zufriedenheit steigt, die Burnout-Gefährdung sinkt, die Fluktuation sinkt und viele weitere Aspekte werden positiv beeinflusst.

4. Welche der 5 Dimensionen ist die wichtigste?

Nun, das ist eine interessante Frage, die man aber nicht linear beantworten kann. Du sagst, für dich ist der Beziehungsfaktor sehr wichtig und ich glaube, das verbindet uns alle, die wir mit Menschen arbeiten. Es gibt auch Menschen, für die ist zum Beispiel das Erreichen von Zielen viel wichtiger, also Accomplishment. Ihnen sind zwischenmenschliche Beziehungen in der Reihenfolge nicht so wichtig. Was nicht heißt, dass sie ihnen gar nicht wichtig sind. Obwohl PERMA-Lead ein Modell ist, ist es dennoch sehr individualistisch, da man es auf die Menschen herunterbrechen muss. Und ich bin der Auffassung, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Prioritäten haben. Aber für alle Menschen mit bestimmten Fragestellungen kann man die Frage, die du gerade gestellt hast, spezifischer beantworten. Wir wissen zum Beispiel aus der Forschung von amerikanischen Kolleginnen, dass der Accomplishment-Faktor der größte Schutzfaktor bei Burnout-Gefährdung ist. Das heißt das Erreichen von Zielen oder Teilzielen macht offensichtlich ein Stück weit resilient gegen Burnout. Meine Vermutung wäre gewesen, dass es um Beziehungen geht, also wie man sich gegenseitig unterstützt. Der wichtigste Faktor, wenn man möchte, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von sich aus mehr tun, als sie müssten, ist „Meaning“, also die Sinnhaftigkeit. Je stärker ich Sinnhaftigkeit in meiner Arbeit erlebe, desto mehr bin ich bereit, die Extrameile zu gehen. Um auf deine Eingangsfrage „Welche der 5 Dimensionen ist die wichtigste“ zurückzukommen: Sie lässt sich beantworten, aber immer verbunden mit einer konkreten Fragestellung im Sinne von „Was will ich erreichen“? Somit sind alle Faktoren wichtig.

5. Welche Botschaft möchtest Du Führungskräften in Zeiten des Umbruchs mitgeben?

Ich bin jetzt seit fast 25 Jahren als Coach und Organisationsentwickler unterwegs. Ganz ehrlich, ich habe nie ein Unternehmen erlebt, das gesagt hat „Wissen Sie, bei uns bewegt sich nichts, das ist gut so. Es bleibt alles stabil“. Wenn man zurückschaut, dann sieht man, dass es es immer Umbrüche gab, dass es unterschiedliche Veränderungen waren. Nur weil wir das Neue nicht kennen, geben wir ihm immer eine besondere Gewichtung. Und ich möchte nur daran erinnern: Wir hatten eine riesige Wirtschaftskrise. Wir hatten eine riesige Veränderung durch terroristische Anschläge. Wir hatten lange Zeit eine Situation des Kalten Krieges. Wir hatten in Europa die Balkankriege. Wir hatten ganz viele Themen. Aber wir neigen dazu, Dinge zu vergessen und das umso dramatischer wahrzunehmen, das vor uns liegt.

Ich möchte den Führungskräften gerne ein bisschen mehr positive Sichtweise mitgeben. In der Forschung sehen wir, dass es so etwas wie einen erfahrungsbasierten Optimismus gibt. Und ich glaube, das hilft uns sehr gut. Natürlich wissen wir nicht genau, was auf uns zukommt. Aber das wussten wir vor 50 Jahren, vor zehn Jahren, vor fünf Jahren und auch vor einem Jahr auch nicht. Wichtig ist, mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ab und zu auf das zu schauen, was man schon alles gemeinsam bewältigt hat. Blickt noch einmal auf Situationen zurück, wo ihr das Gefühl hattet, dass die Aufgabe, die auf euch zukommt, nicht zu schaffen ist. Und offensichtlich habt ihr sie dann doch irgendwie bewältigt. Schaut hier öfter mal im Sinne positiver Führung auf Themen und fragt Euch „Was haben wir unternommen, um diese Aufgabe gemeinsam zu bewältigen? Das ist in etwa so als ob ich meinen Werkzeugschrank, an dem ich schon lange nicht mehr war, öffne und mir alle Werkzeuge wieder anschaue, die ich offensichtlich schon mal benutzt habe.

Frühere erfolgreich gemeisterte Herausforderungen gemeinsam Revue passieren zu lassen, gibt Menschen die Sicherheit, dass sie auch in Zukunft Dinge bewältigen können – auch wenn sie noch nicht wissen, was das sein wird. Das ist eine gute Strategie, wenn Unsicherheit und Umbruchstimmung in der Luft liegen. Und das Schöne ist: Es geht nicht darum, mir und meinen Mitarbeitenden etwas schönzureden, sondern es geht darum, darauf zu schauen, was bereits funktioniert hat. Und ich bin überzeugt, das ist eine ganze Menge!

Über Dr. Markus Ebner
Markus Ebner ist promovierter Organisations- und Wirtschaftspsychologe. Er lehrt und forscht zum Thema Positive Psychologie und hat den PERMA-Lead ® Ansatz entwickelt. Sein Auftrag ist es, die Wirkung des Ansatzes wissenschaftlich zu erforschen und die praktische Seite in Führungskräfteworkshops in Unternehmen zu vermitteln sowie zertifizierte Beraterinnen und Berater in der Anwendung dieses Modells auszubilden. Mit seinem Team arbeitet Dr. Markus Ebner für verschiedene nationale und internationale Unternehmen.