Sehen, hören, wahrnehmen und wirken lassen: Das sind Themen, die mich in meiner täglichen Arbeit mit Führungskräften begleiten. Wahrnehmung ist ein ganz wesentlicher Teil in der Kommunikation mit Mitarbeitenden. Neben dem gesprochenen Wort spielen Mimik und Gestik eine große Rolle.
Claudia Bielefeld ist Sonderschullehrerin, aktives Mitglied im Berufsverband Deutscher Hörgeschädigtenpädagogen Baden-Württemberg e. V. und lehrt an der Katholischen Hochschule Freiburg. Sie lernte ich 2013 bei einer Veranstaltung im Staatlichen Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum mit Internat, Förderschwerpunkt Hören in Stegen (kurz BBZ Stegen) kennen, bei dem ich einen Vortrag gehalten hatte, wie sich hör- und sehgeschädigte Menschen in einem Bewerberinterview verhalten sollen. Für mich war es eine sehr besondere Erfahrung, da mein Vortrag von einer Gebärdensprachdolmetscherin übersetzt wurde.
Grundsätzlich sind Gebärdensprachler aufmerksamer und mehr im Hier und Jetzt, erfuhr ich im Gespräch mit Frau Bielefeld. Dadurch lassen sie sich mehr auf das Gespräch und ihr Gegenüber ein. Das sind durchaus wertvolle Eigenschaften für den Führungsalltag.
Lesen Sie selbst, welchen Stellenwert Mimik und Gestik in unserer Kommunikation haben und was wir von Gehörlosen für den Dialog mit anderen lernen können.
1. Welche Informationen bekomme ich über Mimik und Gestik vermittelt, ohne dass es ein gesprochenes Wort bedarf? Und welche Mikromimik-Signale sind für die Kommunikation wichtig?
Über die Mimik und Gestik einer Person können viele Informationen übermittelt werden. Sie kennen es sicher, wenn Sie mit dem Zug fahren und Menschen beobachten, können Sie ziemlich schnell feststellen, wie es den Menschen gerade geht, ob sie Interesse an einem Gespräch haben oder lieber für sich sein möchten.
Einigen Menschen sagt man nach, dass ihr Gesicht wie ein offenes Buch sei, andere zeigen sich eher verschlossen. Wenn wir unserem Gegenüber in der Kommunikation die volle Aufmerksamkeit schenken und dabei seine Mimik und Gestik genau beobachten, können wir viel aus ihm herauslesen. So lässt sich z. B. über mikromimische Signale erkennen, ob der Gesprächspartner müde ist, ob er entspannt ist, sich gedanklich im Hier und Jetzt befindet oder ob ihn etwas irritiert. Im Bereich der Gebärdensprache benutzt man den Begriff nonverbale Kommunikation oder nonverbale Aspekte. Über Mimik und Gestik bekommen Sie in einem Gespräch vor allem die Gefühlsseite einer Äußerung mitgeteilt, also eine zusätzliche Korrelation von Ausdruckseinheiten zu einer Korrelation von Inhaltseinheiten. In einem Mitarbeitergespräch können Sie durch Beobachtung feststellen, ob Unstimmigkeiten bestehen oder ob etwas den Kollegen bedrückt. Unter Berücksichtigung dieser Wahrnehmung kann das Gespräch viel gewinnbringender verlaufen.
2. Welche Signale, die für einen Gehörlosen zur Wahrnehmung der Kommunikation wichtig sind, sendet ein Gesprächspartner?
Eine gehörlose Person nimmt die nonverbale Kommunikation wahr: Mimik, Gestik und Körperhaltung. Hieraus kann sie Wut, Abneigung oder gar Zustimmung erschließen. Beobachtet sie beim Gebärden die Gesichtsmimik des Gesprächspartners kann sie durch minimale Signale erkennen, ob die Gebärde verstanden wurde. Dies kann ein leichtes Runzeln der Stirn sein oder ein leichtes Zusammenziehen der Augenbrauen.
Obwohl die Gebärdensprache lautlos ist, können die kleinsten bedeutungs-unterscheidenden Spracheinheiten in ihrer Funktion unter anderem anhand der Mimik und der Körpersprache betrachtet werden. Vereinfacht gesagt werden Bilder im Gebärdenraum dargestellt. Die Ausprägung der Mimik, die Oberkörperhaltung, oder die Blickrichtung geben dem Gebärdeten die Bedeutung. Für Hörende sieht diese nonverbale Kommunikation oftmals sehr übertrieben, fast theatralisch aus. Dies ist in etwa gleichzusetzen mit der Variation der Stimme beim Vorlesen einer Geschichte. Die Dramaturgie kann durch Sprechgeschwindigkeit oder die Lautstärke unterstützt werden. Der Zuhörer gewinnt somit eine bessere Vorstellung. Einem Gehörlosen würde es schwer fallen zu verstehen, wenn keine mimischen oder gestischen Signale gesendet werden würden. Darüber hinaus braucht es eine direkte Zugewandtheit und Offenheit. Hörende können sich unterhalten, obwohl sie sich nicht anschauen oder gar in einer Wohnung in getrennten Räumen befinden. Gehörlose benötigen den durchgehenden sowie höchstaufmerksamen Blickkontakt.
3. Was können Menschen von Gehörlosen für die Kommunikation lernen und wie können auch Führungskräfte dies z. B. im Mitarbeitergespräch nutzen?
Meiner Meinung nach können Menschen viel von Gehörlosen lernen, zum Beispiel die Kommunikation nicht als beiläufige Selbstverständlichkeit anzusehen. Sie sollten sich voll und ganz auf die Kommunikation konzentrieren, sich Zeit dafür nehmen, Zeit für den anderen Menschen, dem sie etwas mitteilen möchten oder der ihnen etwas mitzuteilen hat. Da Menschen, die Gebärdensprache nutzen, hinsehen müssen, wenn sie sich unterhalten möchten, unterbrechen sie alle anderen Tätigkeiten für diesen Austausch. Sie beobachten die Mimik und die Körperhaltung des Gegenübers und versichern sich immer wieder, ob ihr Gesprächspartner sie verstanden hat oder ob sie richtig verstanden haben. So können Missverständnisse vermieden werden. Dies kann eins zu eins auf die Gespräche mit Mitarbeitenden übertragen werden. Indem sich Führungskräfte mehr auf die Gespräche mit Mitarbeitenden einlassen und sie besser kennen lernen, begegnen sie diesen auf Augenhöhe. Das bewirkt, dass sich Mitarbeitende angenommen und im Ergebnis verantwortlicher für den Betrieb fühlen.
4. Was halten Sie von den Tipps, die uns Körpersprache-Experten raten, z. B. wenn einer die Arme verschränkt, dann heißt das, dass er z. B. abweisend oder verschlossen ist?
Die Tipps von Körpersprache-Experten sind in vielen Situationen gerechtfertigt, denn sie geben uns Hinweise auf das Empfinden unseres Gesprächspartners. Allerdings dürfen sie meiner Meinung nach nicht überbewertet werden. Wenn ich beispielweise meine Beine in die entgegengesetzte Richtung zu meinem Gesprächspartner überschlagen habe, können auch Knieschmerzen der Grund dafür sein. Eine tiefere Bedeutung hier hinein zu interpretieren wäre falsch. Die Gesichtsmimik könnte uns Aufschluss geben, wenn sich beispielsweise die Muskeln im Gesicht zusammenziehen, während das Bein gewechselt wird.
5. Sie arbeiten in der Sonderpädagogik sehr individuell mit den Menschen. Was lässt sich aus diesem individuellen Ansatz auf andere Bereiche, in denen wir mit Menschen arbeiten, übertragen?
Am BBZ Stegen bin ich verantwortlich für ein tolles Programm zur vertieften beruflichen Orientierung und Förderung der Ausbildungsreife von Schülern mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Förderangebot: „Schule (ge)schafft“. Zehn Schüler gehen über ein Schuljahr hinweg an einem Tag in der Woche in eine Lehrwerkstatt und arbeiten mit Ausbildern aus insgesamt dreizehn verschiedenen Handwerksbereichen. Interessant ist es, hier zu sehen, dass einige Ausbilder im Vorhinein große Bedenken in Bezug auf die Zusammenarbeit mit den gehörlosen Schülerinnen und Schülern und in Bezug auf die Fähigkeiten hatten. Durch die individuelle Betrachtung konnten sie jedoch die Stärken erkennen, und nicht selten kam die Aussage, dass sie den Schüler gerne als Azubi einstellen würden. Der Schüler wird in seinen Fähigkeiten ernst genommen, seine Stärken geschätzt, wodurch er wiederum motiviert und gewinnbringend arbeitet. Seine Lernbiographie und sein Selbstwertgefühl werden positiv gestärkt.
Jeder Mensch ist besonders, wertvoll und hat seine eigene Geschichte. Erkennt eine Führungskraft die Stärken und Schwächen eines Mitarbeitenden, die Gefühlslage oder sogar die Probleme, kann dieses Wissen genutzt werden, um passende Aufgaben zu vergeben, welche der Kollege oder die Kollegin motiviert ausführt. Eine Beziehung zum Vorgesetzten zu haben, in der man sich verstanden fühlt, die eigenen Fähigkeiten anerkannt und geschätzt werden und ein Vertrauensverhältnis herrscht, führt zudem dazu, dass sich Mitarbeitende für den Betrieb verantwortlich fühlen und hinter ihrem Chef oder ihrer Chefin stehen.