Christian Lottermann

1. Was hat Dich dazu gebracht, Dich auf das Thema Emotionen zu spezialisieren und als Emotionscoach zu arbeiten?

Danke, dass Du das fragst, denn es ist wichtig, den Hintergrund einer Person zu kennen. Ich bin kein studierter Psychotherapeut oder Psychologe. Nach dem Abitur fuhr ich Rettungswagen im Zivildienst und arbeitete dann im Familienbetrieb meines Urgroßvaters. Ich bin Fahrlehrer von Beruf und heute „Fahrlehrer für den Kopf“. Vor über 20 Jahren hatte ich eine Schülerin, die bei ihrer Prüfung durchfiel, weil sie so aufgeregt war. Diese Erfahrung hat mich geprägt. Es zeigte mir, wie stark andere Menschen unsere Gedanken und Gefühle beeinflussen können und somit unser Verhalten verändern.

Die Erkenntnis, dass Anwesenheit und Verhalten anderer Menschen uns so stark beeinflussen können, veranlasste mich dazu, mich intensiv mit dem Thema Gedanken, Gefühle und deren Einfluss auf unser Verhalten auseinanderzusetzen. Es geht nicht nur um Fahrschulsituationen; dasselbe gilt für Profifußballer, Verkäufer oder Führungskräfte. Der Einfluss anderer Menschen kann dazu führen, dass wir unser Wissen und unsere Fähigkeiten nicht abrufen können, da unsere Gedanken dann oft mehr bei unserem Gegenüber sind als bei uns selbst.

Ein wichtiger Faktor ist, wir sind unseren Emotionen nicht ausgeliefert. Unsere Emotionen sind die Sprache unserer Bedürfnisse und zeigen, ob ein bestimmtes Bedürfnis erfüllt ist oder nicht. Darauf dürfen wir hören.

2. Wie verändert sich das Leben und die Arbeitsweise von Menschen, wenn sie einen verbesserten Zugang zu ihren inneren Ressourcen entwickeln?

Führung beginnt immer bei uns selbst. Ein zentraler Punkt ist das Verständnis des menschlichen Erlebens und Verhaltens. Es ist wichtig zu reflektieren, warum wir uns auf bestimmte Weise verhalten, insbesondere als Führungskraft. Manchmal handeln wir anders, als wir es eigentlich möchten, zum Beispiel wenn wir laut oder ungeduldig werden. In solchen Momenten sollten wir hinterfragen, ob das Verhalten wirklich durch die Mitarbeitenden ausgelöst wird oder ob es mit unseren eigenen unerfüllten Bedürfnissen zusammenhängt. 

Wenn wir als Führungskräfte ungeduldig sind, ist es sinnvoll zu erforschen, woher dieses Gefühl stammt. Es könnte aus unserer Vergangenheit oder aus früheren Erfahrungen resultieren. Indem wir den Ursprung solcher Gefühle erkennen und bearbeiten, zum Beispiel durch Coaching, können wir unser Verhalten in Zukunft ändern und besser auf unser Team eingehen. 

Selbsteinschätzung und Selbstreflexion sind entscheidend. Wir müssen erkennen, wie es uns geht und warum wir uns so verhalten. Ebenso wichtig ist es, das Befinden und die Bedürfnisse unserer Mitarbeitenden zu verstehen. Anstatt oberflächliche Ratschläge zu geben, sollten wir uns bemühen, die tieferen Bedürfnisse, wie das Bedürfnis nach Sicherheit, zu erkennen und darauf einzugehen. 

Es geht darum, die zugrunde liegenden Motive zu erkennen. Dies erfordert eine innere Haltung, die ich mir für Führungskräfte wünsche. Ein Beispiel ist die afrikanische Grußformel „Sawubona,“ die bedeutet „Ich sehe dich.“ Diese Haltung drückt aus, dass wir unsere Mitarbeitenden mit all ihren Bedürfnissen, Gefühlen und ihrer Geschichte wahrnehmen, ohne sie sofort zu bewerten. 

Das bloße Gesehenwerden schafft Raum für Entwicklung. Diese Anerkennung und das Verständnis für die Hintergründe des Verhaltens unserer Mitarbeitenden sind essenziell für eine effektive Führung. Es geht darum, einen Raum zu schaffen, in dem sich die Menschen sicher fühlen und sich entwickeln können. 

3. Wie siehst Du die Rolle von Emotionen in der Führungswelt, und warum sind sie Deiner Meinung nach für Führungskräfte heutzutage von Bedeutung?

Es ist wichtig, sich ständig weiterzuentwickeln, wie Du, Mario es tust. Trotz all Deiner bisherigen Ausbildungen bildest Du Dich weiter. Viele Führungskräfte, Trainer oder Coaches denken irgendwann, sie hätten alles gelernt, aber es ist entscheidend, weiter in die Tiefe zu gehen, um zu verstehen, wie die eigenen Klienten und der Markt ticken. Emotionen haben im Unternehmenskontext ihren Platz, obwohl früher gesagt wurde, sie hätten auf der Arbeit nichts verloren.

Wenn man nur die Gedanken oder Fähigkeiten einer Person betrachtet und die Gefühle außen vorlässt, negiert man einen Teil ihrer Arbeitskraft. Früher wurden Mitarbeiter, die Emotionen zeigten, zum Beispiel Frau Meier aus der Buchhaltung, die am Arbeitsplatz weinte, nach Hause geschickt. Dies verschiebt und verdrängt das Problem nur, ohne den Menschen wirklich zu sehen. 

Es geht nicht darum, als Führungskraft alle coachen zu müssen, sondern ein Verständnis für Emotionen zu haben. Jeder hat schon mal Angst, Trauer, Wehmut oder Freude verspürt. Alle Emotionen sind wichtig und haben eine Funktion. Oft wird gesagt, dass nur positive Emotionen wie Liebe und Freude auf der Arbeit erwünscht sind, aber auch negative Emotionen wie Trauer, Wut, Ekel, Hass, Verachtung, Ärger, Scham und Schuld haben ihren Platz. 

Ich möchte, dass mein Team auch Ärger zeigen kann, da diese Emotion eine große Schaffenskraft besitzt. Wenn Mitarbeitende im System etwas ärgert, bleibt ihr Interesse bestehen und sie wollen Probleme lösen. Es wäre fatal, als Führungskraft nur die positiven Emotionen zuzulassen und den Rest zu negieren. Unser Leben besteht aus einer Farbpalette aller Emotionen, und ich möchte das Leben bunt gestalten, nicht nur mit ein paar Farben. 

4. Welche konkreten Maßnahmen kannst Du empfehlen, damit eine Führungskraft sowohl ihre eigenen Emotionen als auch die des Teams besser regulieren kann? 

Es gibt zwei Wege: die Emotionen, die ich in mir habe, und die Emotionen meines Gegenübers. Das Wichtigste ist, Beobachtung und Bewertung zu trennen. Beispielsweise: „Ich habe den Eindruck, da ist jemand traurig“ oder „Das macht mich wütend“. Statt in Ärger zu explodieren, sollte man einfach nur spüren: „Ich merke, dass mich das sauer macht.“ 

Emotionen sind oft körperlich spürbar: Ärger kann sich durch Kribbeln in den Händen, ein brodelndes Gefühl im Bauch oder Druck im Kopf zeigen. Wichtig ist, diese Emotionen nur zu beobachten und nicht sofort zu reagieren. Viktor Frankl sagte: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum.“ In diesem Raum haben wir die Freiheit zu entscheiden, wie wir reagieren. Manche Menschen reagieren sofort auf einen Trigger, aber indem wir diesen Raum dehnen, schaffen wir Raum für Veränderung. 

Wir sollten lernen, Emotionen zu unterscheiden: Wann sind Emotionen funktional und wann dysfunktional? Zum Beispiel ist es im unternehmerischen Kontext in Ordnung, Trauer zu verspüren, wenn zum Beispiel ein Mitarbeiter geht. Wir müssen akzeptieren, dass Mitarbeiter aus verschiedenen Gründen gehen, ohne es persönlich zu nehmen.  

Statt sofort in die Bewertung zu gehen, sollten wir den Ärger spüren und nicht impulsiv reagieren. Wenn wir in Ärger ausbrechen, schaden wir nur uns selbst. Unser System lernt, dass es schlecht ist, wie es ist, und es entstehen Schmerzen, die keine Veränderung ermöglichen. Indem wir den Raum öffnen und sagen „die Emotion ist da“, können wir durch Emotionsregulation und Methoden zur Emotionsbewältigung daran arbeiten. Dies kann man unter anderem mit einem Coach lernen. 

5. Welche 2 Lifehacks sind Deine Lieblingswerkzeuge, um besser mit unangenehmen Emotionen umgehen zu können? 

Wenn eine Mitarbeiterin geht und uns das tief berührt, kann dies unbewusste Erinnerungen an frühere Verluste wecken, wie zum Beispiel den Verlust eines Freundes im Kindergarten oder den Tod eines nahestehenden Menschen. Solche Emotionen manifestieren sich körperlich – als Kloß im Hals, Brodeln im Bauch oder weiche Knie. Der erste Schritt im Umgang mit diesen Emotionen ist das bewusste Wahrnehmen, ohne sofortige Reaktion. Viele Menschen erkennen ihre Emotionen gar nicht und reagieren impulsiv, was oft kontraproduktiv ist. 

Ein effektiver „Lifehack“ ist das bewusste Wahrnehmen der Emotionen und das Vermeiden von impulsiven Ausbrüchen. Ein konkreter Ansatz ist das Rückwärtszählen, nicht einfach von 10 auf 1, sondern in größeren Schritten, die kognitive Anstrengung erfordern, wie in Dreizehnerschritten, Siebener Schritten oder Dreierschritten von 1.000. Diese Technik aktiviert den präfrontalen Kortex und hilft, das limbische System zu regulieren. 
Eine weitere hilfreiche Methode ist die 5/5-Atmung: Fünf Sekunden einatmen und fünf Sekunden ausatmen, ohne Pause, für etwa zwei bis drei Minuten. Diese Technik, die auch in Yoga und Meditation verwendet wird, hat einen starken Einfluss auf unser emotionales Zentrum. Sie hilft, den Atem zu kontrollieren und darüber das Herz und das Gehirn zu regulieren. 

Ein zusätzlicher Tipp ist, durch die Nase einzuatmen, da dies die Gedächtnisbildung fördert. Die Nasenatmung verbessert die kognitive Leistung. Beim Lernen sollte man deshalb darauf achten, dass die Nase frei ist, um diesen Vorteil zu nutzen. 

Ein weiterer Lifehack ist die Selbstberührungstechnik: Legt die Hände über Kreuz auf die Brust und klopft leicht auf beide Schultern. Studien zeigen, dass diese einfache Handlung den Oxytocin-Spiegel erhöhen und Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol senken, wodurch Stress reduziert wird. Es werden Delta-Wellen im Frontallappen erzeugt, die beruhigend wirken. 

Wenn die Emotionen überwältigend sind, kann es hilfreich sein, mit einem Coach zu arbeiten, um diese Themen aufzuarbeiten. Ein gut ausgebildeter Coach kann dabei unterstützen, effektive Strategien zu entwickeln und emotionale Herausforderungen zu bewältigen.

Als Audio anhören:

Über Christian
Christian Lottermann ist Fahrlehrer für den Kopf, Mentaltrainer, Speaker, Lehrtrainer, Emotionscoach und noch vieles mehr. Mehr Infos gibt’s hier.