5 Fragen an Nico Rose

1. Was können wir von der Positiven Psychologie für den Führungsalltag lernen?
Da es sich um eine wissenschaftliche (Teil-)Disziplin mit mittlerweile einigen tausend Arbeiten handelt, lautet die kurze Antwort: sehr vieles. Um einen Aspekt herauszugreifen: Die Broaden-and-Build-Theorie von Barbara Fredrickson erläutert, warum positive Emotionen wie Glück und Zufriedenheit nicht einfach ein Selbstzweck sind, sondern einen eigenständigen evolutionären Nutzen haben, der sich auch in der Führung auswirkt. In der Küchenpsychologie geht man davon aus, dass wir positive Gefühle erleben, weil wir erfolgreich sind. Eine große Zahl von empirischen Arbeiten legt nah, dass der umgekehrte Zusammenhang mindestens ebenso valide ist: Positive Emotionen sind über viele Situationen hinweg eine Vorbedingung für erfolgreiches Handeln. Etwas vereinfacht gesagt: Menschen werden lieber von „positiven gestimmten Führungskräften“ geführt.

2. Wie können Führungskräfte die Ansätze der positiven Psychologie praktisch umsetzen?
Auch hier gäbe es eine hohe Zahl von Aspekten, die ich thematisieren könnte. Bleiben wir bei den Emotionen. Ich glaube, dass eine der wichtigsten Kompetenzen von Führungskräften die Fähigkeit zur Emotionsregulation ist. Wir wissen, dass sich Gefühle in sozialen Kontexten netzwerkartig ausbreiten, ein wenig wie ein Virus. Je höher man in der Hierarchie steht, umso stärker der „emotionale Impact“ der Person, im Guten wie im Schlechten. Daraus ergibt sich eine besondere Form der Verantwortung. Das heißt nun explizit nicht, dass wir negative Gefühle vollständig ignorieren sollten. Das ist gar nicht möglich und schon der bloße Versuch wäre langfristig vermutlich ungesund.
Trotzdem kann es helfen, wenn insbesondere Führungskräfte gelernt haben, sich für bestimmte Anlässe „in Stimmung“ zu bringen, egal, was der Tag zuvor gebracht hat. Zu diesem Zweck empfehle ich, sich ein sogenanntes Positives Portfolio auf dem Smartphone anzulegen. Dabei geht es um einen Ordner auf dem Startbildschirm, in dem wir Fotos, Videos und Musikstücke ablegen, die für uns mit sehr positiven Emotionen verknüpft sind. Typische Kandidaten sind Fotos der Familie, von Haustieren, Urlaubserinnerungen, Naturaufnahmen oder auch Videos von Konzerten und ähnlichen, positiv aufgeladenen Begebenheiten aus unserem Leben. Das Anlegen dieses virtuellen Albums an sich ist bereits eine lohnenswerte Beschäftigung, später steht es für den kurzen Glückskick im Alltag zur Verfügung. Wenn man zwischen zwei Meetings ein paar Minuten hat: nicht rauchen gehen oder den fünften Kaffee des Tages runterspülen, sondern gezielt ein paar Minuten mit dem eigenen, positiven Portfolio verbringen. Das wirkt stimmungsaufhellend.

3. In einer Zeit, in der es trendy scheint, dass jedes Unternehmen über Purpose und jede Führungskraft über Sinn spricht, warum braucht es ein weiteres Buch zum Thema Sinn?
Ich halte das Thema Purpose für eine typische „Sau, die gerade durchs Management-Dorf getrieben“ wird. Was mich am meisten stört: Viele Protagonisten halten die Themen Purpose und Sinnerleben für äquivalent. Der Purpose der Organisation, so er überhaupt authentisch greifbar ist, ist aber nur eine von vielen Facetten, aus denen Menschen ihr arbeitsbezogenes Sinnerleben ziehen. Die Forschung kennt mindestens zwei Dutzend dieser „Sinntreiber“. Viele davon sind viel alltäglicher und kleinteiliger als der Raison d’Être der gesamten Organisation. Dazu gehört, woran und mit wem wir arbeiten. Auch, von wem wir geführt werden, beeinflusst nachhaltig, wie sinnvoll uns unser Tun erscheint. Um es einmal ganz plakativ zu sagen: Was nützt mir der tollste Purpose, wenn mein direkter Vorgesetzter ein hochgradig narzisstisches A…loch ist? Wieviel Sinn werde ich dann an den meisten Tagen empfinden?
Die Sache ist die: Gute Führungskräfte anzulocken, auszuwählen und zu entwickeln, ist nicht ganz einfach. Es kostet Zeit, Geld und Geduld. Folglich beschäftigen sich viele Organisationen lieber mit Aspekten, die einfacher zu regeln sind: Man befragt einige Mitarbeiter, macht ein paar Workshops und lässt sich schließlich von einer Agentur ein paar schicke Worte auf einem Poster kredenzen. Somit drückt man sich vor der eigentlichen Aufgabe und versucht im schlimmsten Fall etwas herbeizureden, was in der „Seele“ der Organisation gar nicht angelegt ist.
Es gab früher einmal diese Sparkassen-Werbung, in der Mitarbeiter einer konkurrierenden Bank zusammensitzen, um zu ergründen, wie man den Kunden besser gerecht werden kann. Nachdem jemand aufzählt, wie viel echte Arbeit das erfordern würde, sagt jemand aus dem Marketing: „Wir machen das mit den Fähnchen!“ Für mich ist die Beschäftigung mit dem Purpose vielerorts leider „das mit den Fähnchen“.

4. Was ist in Deinem Buch „Führen mit Sinn“ die Kernbotschaft an die Führungskräfte?
Kernbotschaft ist, dass Sinnerleben kein esoterischer Hokuspokus ist – sondern ein sehr reales (und messbares) Phänomen, mit dem sich Unternehmer und Führungskräfte auseinandersetzen sollten – und zwar ernsthaft, nicht nur auf der Fähnchen-Ebene. Sinnerleben ist aus meiner Sicht eine Art „Meta-Motivator“. Egal, was sonst der Fall ist: Wenn ein Mensch mit Nachdruck „Das macht doch alles keinen Sinn hier!“ sagt, dann ist klar, dass der Ofen aus ist. An diesem Punkt hast du als Führungskraft ein echtes Problem.
Die zweite Kernbotschaft ist, dass Sinnerleben, wie schon geschildert, so viel mehr ist als Purpose-Geblubber. Ich versuche, auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse aufzeigen, welche Einflussfaktoren es tatsächlich gibt, mit dem Schwerpunkt bei der Frage, welche dieser Faktoren durch interpersonelle Führung beeinflussbar sind.

5. Was sind aus Deiner Sicht die Führungsskills einer guten Führungskraft in der Zukunft?
Ich vertrete die Ansicht, dass gute Führung gewissermaßen zeitlos ist. Wenn man unter die Oberfläche und das Marketing-Getöse schaut, dann hat sich gute Führung in den letzten 2.000 Jahren nicht wesentlich verändert – und wird es auch in Zukunft nicht tun. Ich glaube z.B. auch nicht, dass es so etwas wie „Digital Leadership“ gibt. Anders gesagt: Das, was Führung über digitale Tools und Kanäle gut macht, sind die gleichen Faktoren, die auch Führung durch das Wort oder Führung per Brieftaube erfolgreich machen. Allerdings braucht es, das lehrt uns die Pandemie, zunehmend mehr Medienkompetenz, um weiterhin alle Mitarbeiter gleichermaßen erreichen zu können. Man sollte die Medienkompetenz aber nicht mit der Führungskompetenz in einen Topf verquirlen, das führt eher zu mehr Verwirrung als zu mehr Klarheit.
Eine der jüngeren eigenständigen Führungstheorien ist die der „dienenden Führung“. Robert Greenleaf, der Begründer, hat selbst keine klare Definition hinterlassen, er hat sich eher durch Geschichten und Beispiele geäußert. Später haben Forscher sich an einer möglichst klaren Beschreibung versucht. Dabei kam die folgende Liste heraus – ich finde, damit ließe sich gut arbeiten:

  • Empowerment: die Führungskraft fördert Proaktivität und Selbstwirksamkeit bei den Geführten und ermutigt diese dazu, Informationen frei zu teilen und eigene Entscheidungen zu treffen.
  • Bescheidenheit: die Führungskraft ist in der Lage, die eigenen Talente und Beiträge realistisch einzuordnen. Sie erkennt, dass sie jederzeit auf die Unterstützung anderer angewiesen ist und gibt ihnen den nötigen Raum dafür wie auch die entsprechende Anerkennung.
  • Authentizität: die Führungskraft ist integer und ehrlich. Sie hält, was sie verspricht, verhält sich weitgehend konsistent über verschiedene Situationen hinweg – und kann sich entscheidenden Momenten auch verwundbar zeigen.
  • Akzeptanz: die Führungskraft ist fähig und gewillt, sich der Gefühle anderer bewusst zu werden und diese zu berücksichtigen. Sie ist in der Lage, eine Atmosphäre des Vertrauens und Wohlwollens zu kreieren, was auch einen offenen Umgang mit Fehlern und Missgeschicken einschließt.
  • Zielklarheit: die Führungskraft macht die Anforderungen an die Geführten deutlich und ist in der Lage, die besondere Bedürfnisse und Stärken der Mitarbeiter entsprechend anzusteuern.
  • Soziale Verantwortung: die Führungskraft übernimmt Verantwortung für das große Ganze und fungiert in diesem Rahmen auch als Rollenmodell für die geführten Personen.

Über Nico Rose
Prof. Dr. Nico Rose ist Psychologe, Autor, Redner und Coach. Seit 2019 lehrt er als Professor für Wirtschaftspsychologie an der International School of Management in Dortmund. Der „Sinnput-Geber“ – wie er sich selbst bezeichnet – gehört laut Harvard Business Manager zu den führenden Experten für Positive Psychologie in Deutschland. Seit Anfang 2021 ist Rose Kolumnist im Magazin Business Punk.