1. Sie waren selbst Unternehmer im Bereich Automobilindustrie. Wie gelingt es, in einem solchen zahlengetriebenen Umfeld menschlich zu bleiben?
Von Alfred Herrhausen stammt ein Gedanke, den ich gerne als Leitbild verwende: „Ohne Wirtschaftlichkeit schaffen wir es nicht, ohne Menschlichkeit ertragen wir es nicht“. Die Herausforderung ist, zwischen diesen Polen die jeweils der Situation angemessene Dosierung zu finden. Gerade in einer technikgetriebenen, wettbewerbsintensiven Branche wie der Automobilindustrie ist der Mensch entscheidend, sein Fachwissen, sein Engagement, seine Sorgfalt und seine Zuverlässigkeit. Führen in einem solchen Umfeld verlangt Vorbild, man muss die eigenen Erwartungen an seine Mitarbeiter als Chef persönlich vorleben. Dazu braucht es persönliche Kraftquellen. Für mich heißen diese vor allem Sinn und die Fähigkeit, auch einseitig meinen inneren Frieden mit situativem Ungemach, Lügen oder Druck zu schließen.
2. Was sind aus Ihrer Sicht Kraftquellen für Entscheider?
Für mich gibt es drei wesentliche Kraftquellen, die mich auch in schwierigen Zeiten unterstützt haben:
Erstens der Sinn, die klare Erkenntnis „wofür tue ich was ich tue“. Wer ein eindeutiges Wofür hat, eine Sinnhaftigkeit, der kann buchstäblich Berge versetzen. Der Volksmund sagt: Der Wille versetzt Berge. Wille entsteht aus Sinnhaftigkeit, aus Notwendigkeit. Wenn diese zwei mit klaren Zielen und dem brennenden Wunsch, diese zu erreichen, gepaart werden, dann entsteht große Kraft.
Eine zweite Kraftquelle ist der Humor. Humor ist für mich eine Art Seelenöl, welches die Reibung und die dabei entstehende Hitze in uns abführt, ableitet. Kluger Humor, nicht beißende Ironie oder gar Zynismus, schenken Kraft. Hier ist Papst Johannes XXIII mein Vorbild mit seinem Satz: „Giovanni, nimm dich nicht so wichtig“.
Und schließlich ist mein Glaube für mich eine wichtige Kraftquelle. Glaube ordnet das vermeinlich so Überwältigende, die schwierige Situation, in ein großes Ganzes ein. Er schenkt inneren Abstand zum Problem und lehrt uns Vertrauen, denn Glauben ist Wissen ohne Beweis.
3. Wie haben Sie es geschafft, auch negative Erlebnisse ins Positive zu wandeln?
Indem ich zunächst versuche, inneren Abstand zu gewinnen. Ich nenne das die Kinoübung. Im negativen Erlebnis bin ich Handelnder auf der Leinwand, Teil des Films. Doch dann zwinge ich mich, aus der Emotion auszusteigen und innerlich aus dem Film herauszutreten. Ich werde zum Zuschauer und setzte mich innerlich ins Publikum. Mein Platz ist nun Reihe 8, Sitz 15 und nicht mehr im Film. Von diesem neuen Standpunkt aus kann ich mir dann überlegen, was zu tun ist, welche Handlung die jetzt richtige wäre: Kampf, Abstand / Flucht oder Versöhnung, wenn nötig auch einseitge Versöhnung. Gerade das von mir entwickelte Konzept der einseitigen Versöhnung hat mir schon oft geholfen, negative Erlebnisse in neue, positive Energie zu wandeln.
4. Wie stehen Sie zu den neuen Konzepten wie New Work, Agiles Führen, Digital Leadership?
Digitalisierung, IoT, Industrie 4.0, künstliche Intelligenz, Globalisierung, aber auch der demographische Wandel und andere Wertevorstellungen der jungen Generation verbieten ein „weiter wie bisher.“ Diese Umbrüche verlangen neue Antworten und neue Konzepte wie New Work, Agiles Führen oder Digital Leadership sind Beispiele für Teilantworten, sie können Teil der Lösung sein. Allerdings sollte jedes solcher Konzepte maßgeschneidert angewendet werden, denn diese Methoden sind immer nur Mittel zum Zweck, nicht mehr. Am Ende gilt es, Menschen zu führen, zu begeistern und gemeinsam die optimalen Lösungen umzusetzen. Deshalb entscheiden Führungsqualitäten wie Ausdauer, Kompetenz, Integrationsfähigkeit, Authentizität, Teamspirit, Konsequenz, Fairness, Qualitätsanspruch, Loyalität.
5. Was sind aus Ihrer Sicht drei wichtige Fragen, die sich jeder Unternehmer stellen sollte?
- Warum habe ich Kunden, warum bleiben sie, warum würden neue Kunden zu mir kommen?
- Wie gut sind meine Partner, meine Mannschaft und meine Abläufe?
- Habe ich die richtige Finanzierung und eine gute Liquidität?