1. Fangen wir mit den Basics an: Was ist Glück für Dich?
Glück hat bekanntlich viele Gesichter, denn so unterschiedlich wir Menschen sind, so individuell ist auch unser Glücksempfinden. Auch das, was ich unter „Glück” verstehe, hat viele Facetten. Glücklich bin ich zum Beispiel, wenn ich Zeit mit meiner Familie genieße und ich weiß, dass es den Menschen, die mir wichtig sind, gut geht. Glück spüre ich aber auch in den vielen kleinen Momenten des Alltags: Wenn ich in der Sonne einen Kaffee trinke, mit meinem Hund im Wald spaziere, ein gutes Buch lese oder wenn mich eine Person in einem intensiven Gespräch zu einem „Aha”-Moment inspiriert. Der Unterschied ist meist die Intensität, in der ich Glück spüre: In manchen dieser Momente zeigt es sich in Form einer ruhigen Zufriedenheit, die friedlich tief in mir schlummert. Manchmal lässt es mich aber auch ganz aufgeregt und zappelig werden, sodass ich mein Glück am liebsten mit der ganzen Welt teilen möchte. Wichtig ist mir, dass ich diese Momente des (Alltags-)Glücks ganz bewusst und achtsam erlebe, genieße und wertschätze. Erst dann können sich die noch so kleinen Anlässe als wahre „Glücksbringer” offenbaren.
2. Gefühlt gibt es Tausende von Glücksratgebern, mit deren Hilfe Menschen ihr Glück finden sollen. Wie hast du dein Glück gefunden bzw. wie schaffst du es, glücklich zu sein?
Dazu muss ich erstmal ein kleines Geheimnis lüften: Auch eine Glücksministerin ist nicht immer glücklich. So wie jeder Mensch habe auch ich in meinem Leben ein paar Baustellen, beruflich wie privat, die mich immer mal wieder aus dem Gleichgewicht bringen und schlechte Laune erzeugen. Die seit zehn Jahren intensive Auseinandersetzung mit dem Glück hat aber auf jeden Fall dazu beigetragen, dass ich reflektierter mit mir, meinen Gefühlen und Bedürfnissen und meiner Zeit umgehe. Ich weiß, was mir wichtig ist und was mir gut tut. Trotzdem ist und bleibt es ein Drahtseilakt, diese Form der Achtsamkeit im Alltagstrubel umzusetzen. Das erlernte Bewusstsein und die Achtsamkeit helfen mir allerdings dabei zu erkennen, wenn etwas aus den Fugen gerät und ich eingreifen muss, um mein seelisches Wohlbefinden zu schützen. Dabei hilft mir meine ganz persönliche Glücksformel, die vor allem aus dem Gefühl der Verbundenheit besteht: mit mir selbst, mit anderen und dem großen Ganzen. Ich nehme mir genug Zeit für mich selbst – egal, ob das ein Gang in die Sauna, ein Waldspaziergang mit meinem Hund, einer Supervision oder ein gutes Essen ist. Außerdem pflege ich meine Beziehungen, sowohl im Job als auch in der Familie und im Freundeskreis. Wenn ich darüber hinaus noch das Gefühl habe, meinen Platz in der Welt gefunden zu haben und mit meiner Arbeit einen Mehrwert für die Gesellschaft zu leisten, dann bin ich glücklich.
3. Das Thema Glück mag für viele Führungskräfte, Manager:innen und Unternehmer:innen sehr esoterisch klingen. Wie schaffst du es, dieses Thema in die Business-Welt zu tragen?
In den letzten Jahren hat sich in dieser Hinsicht zum Glück einiges zum Positiven verändert: Mittlerweile verstehen immer mehr Manager:innen, dass seelische Gesundheit, Zufriedenheit und Wohlbefinden auch in einem wirtschaftlichen Kontext elementare Bausteine sind. Schließlich ist es nicht im Sinne eines Unternehmens, wenn sich die Mitarbeitenden reihenweise krank melden, innerlich gekündigt habt oder den Arbeitgeber ganz verlassen. Das Ziel muss es sein, dem Problem präventiv zu begegnen, das Thema Mitarbeitenden-Zufriedenheit authentisch in die Unternehmenskultur zu integrieren und entsprechend (vor) zu leben. Dadurch wird nicht nur das Gefühl der sozialen Verbundenheit im Berufsleben gestärkt, wodurch wir uns gesehen, gebraucht und wertgeschätzt fühlen. Es stärkt auch die emotionale Bindung zum Arbeitgeber und kann dabei helfen, Fluktuation vorzubeugen. Um Führungskräften bei diesem Prozess zu unterstützen, zeige ich ihnen auf eine sehr unkonventionelle, spielerische Art und Weise, wie wichtig dieses Thema ist und bringe sie dabei selbst ins Erleben. In der Theorie wissen natürlich die meisten, wie es geht, scheitern aber dann an der praktischen Umsetzung. Deshalb gebe ich den Manager:innen in meinen Workshops eine Reihe praktischer Übungen an die Hand, die sie selbst erleben, dadurch besser lernen und anschließend authentisch weitervermitteln können.
4. Wie lassen sich Glücksansätze für die Führungsarbeit nutzen? Hast Du eine hilfreiche Übung, vielleicht aus deinem aktuellen Buch „Glück doch mal!“?
Bei Führungskräften spielt vor allem das Thema Wertschätzung der eigenen Mitarbeitenden eine wichtige Rolle. Dazu gibt es auch in „Glück doch mal!” einige Übungen, die sich auch für den Arbeitskontext umfunktionieren lassen. Ich bin zum Beispiel großer Fan davon, Erfolge zu feiern, ganz nach dem Motto: „Eigenlob stimmt!” Viel zu selten nehmen wir uns die Zeit, einfach mal stolz und dankbar zu sein, wenn wir ein persönliches oder berufliches Ziel erreicht haben. Um das zu wertschätzen, könnten Führungskräfte zum Beispiel eine „Wall of Fame” einrichten, auf der individuelle und kollektive Erfolge aus dem Team festgehalten und für andere sichtbar gemacht werden. Auch regelmäßige Lobduschen sind wichtig für ein gesundes Arbeitsklima, da 40 Prozent der deutschen Arbeitnehmenden sich aufgrund mangelnder Wertschätzung gestresst fühlen. Ein nettes Wort, ein herzliches Dankeschön oder ein Zeichen der Anerkennung – egal in welcher Form – beflügeln dabei zu wahren Höchstleistungen. Aber auch Teambuilding-Maßnahmen können das Zusammengehörigkeitsgefühl enorm stärken und dazu beitragen, die allgemeine Zufriedenheit zu steigern. Gemeinsame Erlebnisse schaffen Vertrauen und fördern den „Wohlfühlfaktor” – auch im Kolleg:innenkreis. Also öfter mal was Neues: Gemeinsame Erfahrungen schaffen, kleine Experimente im oft stressigen Alltag einbauen (wie wäre es mit einer Stillen Runde zu Beginn eines Meetings?) oder ein bisschen Guerilla Happiness im Aufzug mit kleinen aufmunternden Sprüchen oder visuellen Remindern an motivierende Themen? Glück darf Spaß machen – probiert es aus!
5. Von der Corona-Resignation in kriegerische Zeiten: Aktuell leiden viele Menschen unter Sorgen, Angst und Ohnmacht. Wie kann es uns gelingen, in diesen schwierigen Zeiten dennoch Glück in uns zu spüren?
Optimismus ist derzeit wirklich Hochleistungssport! Es bedarf Training, Ausdauer und es kann durchaus auch mal Muskelkater geben. Aber man hat definitiv eine bessere Kondition, wenn es mal wieder anstrengend wird und im Leben drunter und drüber geht.
Für die einen mag es wie ein Luxusproblem erscheinen, sich jetzt um solch ein Thema wie “Glück” zu kümmern oder man erwischt sich sogar mit einem schlechten Gewissen, wenn sie sich einen Moment Leichtigkeit und Lebensfreude gönnt. Dabei ist es sogar absolut notwendig, gerade jetzt in die eigene Resilienz zu investieren: Sie ist das Immunsystem unserer Seele und hilft uns, mit äußeren Einflüssen besser klar zu kommen. Was mir außerdem in der aktuellen Zeit dabei hilft optimistisch zu bleiben, sind Akzeptanz und Aktionismus. Zunächst sollten wir Situationen, die wir nicht ändern können, so annehmen wie sie sind, uns vom Fluss des Lebens treiben lassen, anstatt gegen den Strom zu schwimmen. Nur so können wir unsere Kräfte sammeln, die wir brauchen, um im zweiten Schritt aktiv zu werden. Dazu sollten wir uns überlegen, wie wir im Rahmen der eigenen Möglichkeiten zusammen mit unseren persönlichen Stärken und Talenten zum persönlichen Wohlbefinden und dem anderer Menschen beisteuern können. All das trägt dazu bei, unser psychisches Schutzschild, unsere Selbstwirksamkeit, Eigenverantwortung und einen zukunftsorientierten Lösungsfokus zu stärken.
Aktuell brauchen wir ganz besonders die kleinen und großen Glücksmomente für unser seelisches Gleichgewicht. Deshalb gibt dir Gina Schöler abschließend für die die tägliche Portion Glück eine einfache Faustregel an die Hand. Einfach ausprobieren!
Ein Patentrezept für Glück im Alltag gibt es natürlich nicht. Was ich an dieser Stelle aber gerne und oft empfehle ist eine einfache Faustregel, mit deren Hilfe wir uns wichtige Faktoren aus der Positiven Psychologie immer wieder ins Gedächtnis rufen können. Der Daumen steht dabei für Dankbarkeit, also Gutes und Gelingendes vor Augen zu führen und bewusst wahrzunehmen. Der Zeigefinger steht für die Zeit, die wir uns abseits unserer Terminflut etwa für ein Date mit uns selbst nehmen sollten, um die Uhren ein bisschen langsamer ticken zu lassen. Der Mittelfinger – etwas kontraintuitiv – steht für das gute Miteinander. Gesunde Beziehungen sind das A und O für ein glückliches Leben, wie zahlreiche Studien belegen. Es lohnt sich also, hier Prioritäten zu setzen! Der Ringfinger steht für Reflexion, die extrem wichtig ist, um den Status Quo immer mal wieder zu hinterfragen und das eigene Handeln neu auszurichten. Und zu guter Letzt der kleine Finger, der eine Portion Komik, also Humor und Optimismus repräsentiert. Häufiges Lachen geht mit einer lebensbejahenden Einstellung einher und stärkt nicht nur das Miteinander, sondern auch unser Immunsystem. Wenn wir uns diese fünf Aspekte mehr zu Herzen nehmen und uns aktiv Zeit dafür einräumen, haben wir schon viel für unsere alltägliche Glücksdosis getan.
Über Gina Schöler
Gina Schöler leitet als Glücksministerin die bundesweite Initiative „Ministerium für Glück und Wohlbefinden“. Sie ist europaweit unterwegs, um Menschen dazu zu ermutigen, das gute Leben selbst in die Hand zu nehmen und gemeinsam das Bruttonationalglück zu steigern.
- Weitere Infos unter: https://ministeriumfuerglueck.de/