5 Fragen an Christian Bähner

1. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die 2 Jahre Corona auch dazu geführt haben, dass sich zwischenmenschliche Konflikte im Business-Umfeld erhöht haben. Wie ist es aus Deiner Sicht dazu gekommen? Und wie können wir (vielleicht auch präventiv) damit umgehen?

Konflikte und ihre Lösung sind tatsächlich mein Thema in den letzten 20 Jahren, vor allem wie sich Konflikte klar und fair besprechen lassen. Konflikte sind normal, im konstruktiven Umgang sind wir dennoch ungeübt.
Warum haben zwischenmenschliche Konflikte in Unternehmen massiv zugenommen? Unterschiedliche Bedürfnisse, Ziele und Vorgehensweisen führen häufig zu Konflikten in der Zusammenarbeit, wenn sie nicht frühzeitig in einer Atmosphäre aus Offenheit, Akzeptanz und Fairness besprochen werden. Für viele Menschen ist das Benennen eines Konflikts schwierig und ungewohnt. Wir haben selten gute Vorbilder und häufig zu viele verhindernde Gedanken im Kopf („Ich möchte nicht stören“, „Ich sollte mich nicht so wichtig nehmen“, „Ich könnte jemandem dabei auf die Füße treten“). Zudem wird es unter Zeitdruck oft nicht als zwingend erforderlich gesehen, Konflikte anzusprechen. Doch wer steht im Arbeitsleben nicht unter Druck?
Häufig bleibt ein Gefühl von Unstimmigkeit bei Menschen unter der Wahrnehmungsschwelle bis starke Emotionen auftreten (Wut, Zorn, Unsicherheit, Ängste oder Trauer). Dann sind wir schon neurobiologisch in Aufruhr, kriegen vieles nicht mehr mit und reagieren aus dem Autopiloten heraus nach den ganz alten archaischen Mustern: Draufhauen, Abhauen oder Aussitzen.
Zu Beginn der Pandemie gab es zunächst andere Sorgen: Angst um die Gesundheit, den Job und familiäre Belastungen durch ungewohntes Aufeinandersitzen über lange Zeit. Betriebliche Konflikte wurden dadurch überlagert.
Zudem kann ich Kolleg*innen ganz einfach aus dem Weg gehen, wenn es Differenzen gibt. Home Office ermöglicht Distanz und Rückzug, gibt aber auch ganz viel Schutz vor triggerndem Verhalten. Und wenn dann Videokonferenzen ohne Kamera veranstaltet werden, wird dieses Verhalten noch zusätzlich unterstützt. Doch Kooperation funktioniert nicht ohne Kommunikation und Klärung der Kommunikationsstörungen. Schon gar nicht bei einer Zusammenarbeit auf Distanz.
Wir haben sehr gute Erfahrungen mit Online-Mediation gemacht und unser Prozessdesign auf dieses Setting angepasst. Wir machen kürzere Termine, vorbereitende Einzelgespräche und haben eine längere Begleitung in der Konfliktbearbeitung. Und präventiv braucht es immer wieder eine Standortbestimmung über die Zufriedenheit mit der Zusammenarbeit und Rückmeldungen über Befindlichkeiten. Das lohnt sich. Du gehst auch lieber zweimal im Jahr zur professionellen Zahnreinigung statt einmal zur Wurzelbehandlung.

2. Wie kann eine Führungskraft einem Konflikt im Alltag begegnen, ohne dass sie ausgebildete*r Mediator*in ist oder Seminare besucht hat? Welche Wege siehst Du, um einen Konflikt zwischen einer Führungskraft und einer/einem Mitarbeitenden zu lösen?

Das ist einfach, aber nicht leicht. Der erste Schritt heißt interessiertes Zuhören. „Was ist passiert? Was stört gerade?“ Viele Führungskräfte hören zu, um Antworten zu geben und nicht, um zu verstehen. Führungskräfte werden häufig immer noch darauf gepolt, Experten-Lösungsvorschläge zu geben und auch Verhalten von Mitarbeitenden zu bewerten. Beides kann im Führungsalltag auch notwendig sein. In Konflikten ist es jedoch kontraproduktiv, da menschlich ganz viel auf der Strecke bleibt. Echtes Zuhören ist vielleicht die einfachste Form, meinem Gegenüber Respekt entgegenzubringen. Es fühlt sich durch mein Interesse wertgeschätzt und gesehen.
Hilfreich ist auch das aktive Zuhören, d.h. das eigene Verständnis nicht wertend widerzuspiegeln. Werden die Gefühle mit einbezogen, fühlen sich Gesprächspartner verstanden, was in der Regel zu einer Entlastung führt. Das sogenannte Affect Labeling beruhigt das limbische System im Gehirn. Darüber hinaus legen Mitgefühl und Empathie wieder die Basis für Kontakt und Vertrauen.
Dann empfehle ich den Fokus im Gespräch auf die Bedürfnisse und Interessen zu legen. „Wozu ist Ihnen das wichtig?“, „Was erfüllt sich für Sie, wenn sich das ändert?“ sind geeignete Fragestellungen.
Erst danach kommt der Moment, in dem die Führungskraft selbst ihre Sichtweise und das eigene Erleben schildert. Anschließend werden gemeinsam Erkenntnisse aus dem Dialog besprochen und Ideen für die zukünftige Zusammenarbeit gesucht.
Mein Leitsatz lautet „mitfühlen vor erklären oder lösen“. Als Führungskraft stelle ich meine Sichtweisen, aber auch meine Interessen und Lösungsideen so lange zurück, bis sich mein Gegenüber verstanden fühlt. Verstehen heißt übrigens nicht, dass ich damit einverstanden sein muss und mir die Sichtweise zu eigen mache.

3. In seinem letzten Buch: „Magie des Konflikts: Warum ihn jeder braucht und wie er uns weiterbringt“ stellt der Managementberater Reinhard K. Sprenger die These auf, dass der Konflikt wichtig für uns ist. Ist das nicht ein Widerspruch in sich?

Sprenger lenkt dabei den Blick auf Ressourcen und Nutzen von Konflikten. Die gibt es ganz klar. Entwicklung und Innovation werden durch Auseinandersetzungen um den besten Weg erst möglich. Das zu erkennen gelingt im eskalierten Konflikt allerdings nicht; der Hinweis auf die Chancen oder gar die Notwendigkeit wirken dann eher zynisch und als schwacher Trost.
Wir brauchen Sprache (Kommunikationsformen) und Raum (innere und äußere Freiheit), um über das zu sprechen, was uns antreibt und motiviert, ohne oberflächlich, bewertend oder zu direktiv zu sein – und den anderen kommunikativ zu verlieren.
Vermeintliche Unterschiede und Differenzen müssen wir aushalten lernen und dabei offen bleiben, um dann auf Basis von Interessen und Bedürfnissen Ergebnisse und Vereinbarungen auszuhandeln. Dann wird aus einer guten Konfliktkultur eine Kooperationskultur, die alle Beteiligten weiterbringt. In neuen Arbeitsrealitäten in vielen Betrieben mit dem Anspruch von Selbstorganisation und Anwendung agiler Projektmethoden sind das wichtige Voraussetzungen, um fruchtbar zusammenarbeiten zu können. Das müssen wir lernen, unserer kommunikativen DNA entspricht es nicht.

4. Du zitierst eine schöne Aussage: „Der Weg aus der Schlangengrube führt durch die Schlangengrube hindurch“. Was genau bedeutet das für den Dialog?

Ich kann unangenehme Gefühle nicht versachlichen, ignorieren oder ihnen ausweichen. Schwere Gefühle gehören zu Konflikten hinzu, sie machen den Konflikt erst zum Konflikt. Wir sind gezwungen, unsere eigenen und zutiefst menschlichen Grenzen und auch Bedürfnissen zu erleben. Als Mediator bin ich da total unerschrocken, uns ist nichts Menschliches fremd. Dadurch entsteht auch die tiefe Gewissheit, dass es Akzeptanz, Klarheit und aufrichtige Auseinandersetzung mit den schweren Gefühlen braucht – sonst kommen nur Scheinlösungen und faule Kompromisse dabei raus. In diesem Sinne geht der Weg aus dem Konflikt nur durch den schmerzhaften Konflikt.
Führt den Dialog heißt das ganz klar: Es geht nicht um die Sache, darum, wer die besten Argumente vorträgt, sondern um den Ausdruck von schmerzhaften Gefühlen und unerfüllten Bedürfnissen. Die Beziehungsebene muss geklärt werden, bevor es wieder um die Sache gehen kann.

5. Du/Ihr beratet und trainiert Führungskräfte rund um die Themen Kommunikation und Konfliktmanagement. Wann sollten sich Führungskräfte Hilfe von außen suchen?

Es heißt so schön „Schuster bleib bei deinen Leisten“. Konfliktmanagement ist Führungsaufgabe oder besser -verantwortung. Das heißt deshalb nicht, dass ich alles selbst machen muss. Kommunikative Grundlagen und Empathie sind notwendige Soft Skills für die Führungsrolle, übrigens auch für Führungsverantwortung in den neuen Rollen Agility Master und Product Owner bei New Work.
Das Anerkennen eigener Grenzen bis hin zum Erleben von Überforderung hängt natürlich stark von Kenntnissen und Erfahrung in diesem Bereich ab. Wenn ich mich als Führungskraft durch die Situation gestresst und deutlich unwohl fühle, darf ich mir Unterstützung gönnen. Das könnte z. B. ein Coaching sein. Das klärt und stärkt die Führungskraft in ihrer Rolle und unterstützt bei einer förderlichen Vorgehensweise.
Eine Konfliktklärung sollte in jedem Fall abgegeben werden, wenn ich als Führungskraft kein inneres Bild habe, wie ich die Gesprächsführung erfolgreich durch die Klärung leite, oder wenn ich selbst Teil des Konflikts bin.
Hier wird dann auch Sprengers Ansatz sofort verständlich. Die Auseinandersetzung hat dann die Führungskraft im Sinne eines Lernprozesses weitergebracht und die Kompetenzen und das Zutrauen für einen nächsten Konflikt steigen an.

Über Christian Bähner
Christian Bähner leitet gemeinsam mit Elke Schwertfeger die Organisationsberatung Zweisicht in Freiburg. Er ist mittlerweile deutschlandweit eine Koryphäe zum Thema Konflikte lösen. Als Ausbilder von Mediatoren, als Coach und selbst aktiver Wirtschaftsmediator hilft er Unternehmen und Führungskräften beim konstruktiven Umgang mit Konflikten im Arbeitsalltag.